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Ethnografische Einblicke ins Wollsymposium

Nach Schaf riechen, Hände in braunes Wasser stecken, Dreck aus Schafwolle zupfen? Genau das wollte eine begeisterte Gruppe von Wollexpert:innen und 300 Teilnehmenden beim Wollsymposium, einer Veranstaltung der Kulturhauptstadt erleben. Was ging dort vor sich und wie haben die Teilnehmenden die Veranstaltung erlebt?

Was ist das Wollsymposium?

Das Wollsymposium fand vom 24. bis 28. Juni 2024 in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Schule in Ebensee im Salzkammergut statt. Die Veranstaltung war Teil des Projekts Einen Faden ziehen, das im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms durchgeführt wurde (Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH 2024). Sie umfasste sowohl Zeiten, die für eine Gruppe von Woll-Expert:innen vorgesehen waren, als auch ein offenes Programm, an dem alle Interessierten teilnehmen konnten.

Als Forschende der Europäischen Ethnologie begleitete ich das Wollsymposium an allen fünf Tagen und nahm auch praktisch an den Workshops teil. Ich machte mir Notizen zu meinen Wahrnehmungen und Erfahrungen, den Äußerungen der Teilnehmenden und dem Ablauf allgemein. Zusätzlich führte ich mehrere kurze Interviews mit Teilnehmenden, sowie zwei längere Gespräche mit der Projektleiterin des Wollsymposiums.

Wer nahm am Wollsymposium teil?

Die Gruppe der Expert:innen umfasste neun Frauen und zwei Männer, die in unterschiedlichen Bereichen der Wollverarbeitung in Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark tätig sind. Eine Expertin reiste aus Deutschland an. Der Schwerpunkt lag dabei auf der handwerklichen bzw. künstlerischen Verarbeitung der Wolle. Folgendes Bild zeigt die Gruppe der Expert:innen mit ihren Tätigkeiten1.

Wollexpert:innen Gruppe

Die Bandbreite der beruflichen und finanziellen Bedeutungen der Tätigkeit mit Wolle in der Gruppe ist groß. Für fünf Expert:innen ist die Arbeit mit Wolle bzw. Schafen die Haupterwerbstätigkeit. Sechs Expert:innen arbeiten in unterschiedlicher Intensität nebenberuflich mit Wolle.

Die Teilnehmenden an den Workshops der Publikumstage kamen größtenteils aus der Region und waren zu einem hohen Anteil Frauen im Alter ab ca. 50 Jahre. Zur Podiumsdiskussion am Freitag reisten zudem weitere Wollexpert:innen aus ganz Österreich an, wie z.B. Unternehmer:innen der Wollverarbeitung.

Folgende kurze Bildershow gibt einen Einblick in das Geschehen des Wollsymposiums:

Das Wollsymposium – ein voller Erfolg

Die Projektleiterin berichtet im Interview nach der Veranstaltung von „unheimlich berührend[em]“ Feedback von Teilnehmenden (Interview 5, Pos. 11). Diese beschrieben das Wollsymposium als einzigartige Erfahrungen, die sie so in ihrem Leben noch nicht gemacht hatten (Interview 5, Pos. 23). Viele Leute würden zudem bei ihr als Projektleiterin anfragen, wann wieder so eine Veranstaltung stattfinden würde (Interview 5, Pos. 23). Sie bewertet das Wollsymposium als großen Erfolg:

„Und ich muss sagen, das ist das, was mit Abstand am meisten Interesse geweckt hat von allen Sachen, die wir gemacht haben. Bis jetzt das am meisten Widerhall gefunden hat. Das am meisten Breitenstreuung hat, ja das am meisten Publikum angezogen hat.“ (Interview 5, Pos. 13).

Wie kam dieser ‚Widerhall‘ zustande und wie haben die Teilnehmenden das Wollsymposium wahrgenommen?

„Wir wollen die Wolle“2

Das Programm und die Bilder des Wollsymposiums zeigen, wie stark die Präsenz des Materials Wolle bei der Veranstaltung war. Die Teilnehmenden waren eine ganze Woche lang umgeben von Wolle in verschiedenen Formen. Folgende Zitate geben einen Einblick, welche Erfahrungen die Wollexpert:innen mit dem Material Wolle machen:

Es wird deutlich: Das Material Wolle dient den Expert:innen als Auslöser von positiven Emotionen und Körperempfindungen.

Wolle – ein „soziales Material“3

Diese zentrale Rolle von Wolle zeigt sich auch im direkten Feedback zum Wollsymposium:

„Ich fand’s sehr toll, weil ich bin selber im Berufsleben und komm nicht so viel zum Spinnen oder zum Verarbeiten, einfach mal eine ganze Woche voll mit den Arbeiten mit lauter Leuten, die auch voll interessiert sind, das war sehr toll für mich“ (Interview 4, Pos. 48).

„Ich bin da völlig erwartungsfrei hergekommen und habe eigentlich gleich von Anfang an erfahren dürfen, dass das wahrscheinlich sogar meine größten Erwartungen übertroffen hätte, weil es einfach von den Menschen her so ein Wohlfühlort ist. Und wenn dann auch noch Wolle ins Spiel kommt. Ich meine, was will man mehr?“ (Interview 2, Pos. 20).

Die Zitate zeigen: Über Wolle entstehen soziale Verbindungen. Die Expert:innen sprechen immer wieder über das „tolle Miteinander“, das sehr offen sei und Begegnungen und sogar Freundschaften ermögliche (Interview 3, Pos. 21; Interview 2, Pos. 26). Dabei sind die Arbeit mit der Wolle und die sozialen Kontakte keine voneinander abgegrenzten Erfahrungen, sondern eng miteinander verbunden:

„Toll, da passiert Begegnung im Tun“ (Feldtagebuch-Wollsymposium, Pos. 269) meinte eine der Expert:innen nach dem gemeinsamen Arbeiten in einem Workshop.

Dies bestätigt sich auch in den Äußerungen und den Interaktionen der Teilnehmenden, die nicht zur festen Expert:innen-Gruppe gehörten. Am Kardier4 und Kämmabend saß ich beispielsweise mit einer Gruppe von Frauen aus der Region an einem Tisch und zupfte Wolle als Vorbereitung für das spätere Kardieren. Während dieser praktischen Arbeit ergaben sich schnell und einfach Gesprächsthemen und ich nahm wahr, wie sich in kürzester Zeit ein Gefühl von Zugehörigkeit und Vertrautheit einstellte.

Als Forschende mittendrin

Ich selbst war als ethnografische Forscherin fast durchgehend bei der Veranstaltung anwesend und erlebte, wie das gemeinsame Arbeiten mit dem Material Wolle mich selbst immer stärker mit den Teilnehmenden des Wollsymposiums verband. Bald hatte ich das Gefühl, zur Gruppe der Wollexpert:innen zu gehören und gemeinsam das Ziel – die Nutzung heimischer Wolle zu fördern –  zu verfolgen. Die Dynamik der Veranstaltung ergriff auch Menschen wie mich, die bisher wenig Bezug zum Thema Wolle hatten und nicht die explizite Erwartung mitbrachten, bestimmte Erfahrungen beim Wollsymposium zu machen.

Fazit

Teilnehmende erlebten das Wollsymposium als eine außergewöhnlich bereichernde Veranstaltung. Die positive soziale Dynamik wurde dabei durch die gemeinsame praktische Arbeit ermöglicht und verstärkt.

Welche Konzepte können erklären, was beim Wollsymposium genau zu diesen positiven Erfahrungen führte? Dieser Frage gehe ich in einem weiteren Artikel (hier klicken) nach.

  1. Diese Bezeichnungen basieren auf den Eigenbenennungen der Personen selbst. Wo diese nicht klar kommuniziert wurden, gründen sie auf meiner Wahrnehmung ihrer Rolle auf dem Wollsymposium. ↩︎
  2. Interview 2, Pos. 13 ↩︎
  3. Feldtagebuch-Wollsymposium, Pos. 358 ↩︎
  4. ‚Kardieren‘ bezeichnet einen Schritt in der Verarbeitung von Wolle. Dabei wird die Wolle mit einer speziellen Bürste oder einer Maschine bearbeitet, so dass die Wollfasern in eine Richtung weisen. ↩︎

Literatur & Quellen

Feldtagebuch-Wollsymposium 2024, 24.06.2024 – 30.06.2024

Interview 2, 2024, Pos. 1 – 76

Interview 3, 2024, Pos. 1 – 37

Interview 5, 2024, Pos. 1 – 31

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH (2024): Einen Faden Ziehen. [online], https://www.salzkammergut-2024.at/projekte/einen-faden-ziehen/ [13.10.2024].