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Antisemitismus in Bad Ischl in historischer Perspektive

Nach dem Ersten Weltkrieg wählten viele Mitglieder des Bildungs- und Großbürgertums jüdischer Herkunft Bad Ischl als Urlaubsdomizil, auch wenn es schon lange im Salzkammergut einen latenten Antisemitismus gab. Mit dem Aufstieg Hitlers in Deutschland wurde der Judenhass immer offener gezeigt.

Im Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 stellt sich nun die Frage, wie die Kulturhauptstadt mit diesem historischen ‚Erbe῾ umgeht? Wie werden die unbequemen, oft verdrängten Themen der ‚braunen Vergangenheit’ sichtbar gemacht?

Der Erste Weltkrieg stellte eine Zäsur im Sommerfrischeleben Bad Ischls dar. Sukzessive änderten sich die sozialen Verhältnisse. Am 25. Juli 1914 unterschrieb Kaiser Franz Joseph I. die Kriegserklärung in der Kaiservilla. Am nächsten Tag verließ er Ischl. Es war sein letzter Sommer an diesem Ort (vgl. Wakounig 2024:75).

Während des Krieges entstand der Bevölkerung durch den Einbruch des Fremdenverkehrs erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Die Einkommensquellen durch den Tourismus versiegten, es herrschte Nahrungsmittelmangel. Es wurde versucht, den Kurbetrieb aufrecht zu halten und behandelte rekonvaleszente Soldaten (vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 5. Juli 2014).

Antisemitismus in Bad Ischl in der Zwischenkriegszeit

1919 wurde der Adel aufgehoben. Durch den Verlust ihrer Besitzungen, verarmte ein Großteil der Aristokratie und war so genötigt, seine Villenliegenschaften in Bad Ischl zu veräußern. Die neuen Besitzer:innen waren vor allem Angehörige des Groß- und Bildungsbürgertums, die die Häuser als Sommerresidenz erwarben. Ein Großteil dieser neuen Sommergäste war jüdischer Herkunft.

Die Sommerfrische ‒ das jahreszeitliche Übersiedeln von der Stadt auf das Land – zählte zum Statussymbol bürgerlicher Gesellschaftsschichten (vgl. Arnbom 2017: 13f.). Die Städter:innen trugen Dirndl und Lederhosen wie die Landbevölkerung, um Zugehörigkeitsgefühl zu demonstrieren. Einerseits blieben die neuen Sommerfrischler:innen unter sich, anderseits bemühten sie sich um Kontakte mit den Ortsansässigen. So wurden unter anderem künstlerische Darbietungen und Wohltätigkeitsveranstaltungen, auch für die Dorfbevölkerung, organisiert (vgl. Lichtblau 2009: 116f.).

Obwohl kaum einer von ihnen seine jüdischen Wurzeln betonte – viele Familien waren areligiös oder schon vor Generationen zum christlichen Glauben konvertiert – entstand der sogenannte ‚Sommerfrische-Antisemitismus‛. Antisemitische Vorkommnisse und Denkweisen häuften sich in beliebten Sommerurlaubsorten. Bereits 1895, noch in der Habsburger Monarchie, erschien im ‚Ischler Wochenblatt‛ eine Hassrede eines deutschen Politikers, der zur Vertreibung aller Personen jüdischer Herkunft aufforderte (vgl. Lichtblau 2024: 135). In der Zwischenkriegszeit zeigten die ansässigen Bewohner:innen des Salzkammerguts gegenüber den neuen Sommergästen ein ambivalentes Verhalten: Einerseits gaben sie sich zunächst noch freundlich und weltoffen, um so ihre touristischen Einnahmequellen nicht zu verlieren, anderseits propagierten viele Sommerfrische-Orte, dass sie ‚judenfrei῾ sein wollten und ‚arische῾ Gäste bevorzugten (vgl. Lichtblau 2009: 121). Urlaubsorte wie Mondsee empfahlen sich explizit als ‚arische῾ Sommerfrischen. Zunehmend kam es außerdem zu Ausgrenzungen wie dem Ausschluss jüdischer Mitglieder aus Vereinen, zum Beispiel aus den ‚Alpenvereinen‛ (vgl. Quatember 2024: 92f).

Ab den 1920er Jahren formierten sich bereits die Nationalsozialisten in Österreich, vielfach vorerst im Geheimen, so auch im Salzkammergut, wo starke deutschnationale Einflüsse existierten. Die ersten nationalistischen Sympathisant:innen im ‚inneren Salzkammergut‛ fanden sich in den Vorfeldorganisationen der NSDAP, zum Beispiel dem ‚Deutschen Turnerbund῾ (vgl. Quatember et al. 2024: 89).

Mit Hitlers Machtübernahme eskalierte der Judenhass und wurde zunehmend offen gezeigt. Jüdische Sommergäste wurden in Zeitschriften verhöhnt, indem Karikaturen über Juden und Jüdinnen in alpiner Tracht veröffentlicht wurden. Aufgrund der zahlreichen jüdischen Sommerfrischler:innen wurde Bad Ischl zu ‚Bad Ischeles‛ verballhornt (vgl. Lichtblau 2024: 136). Der ‚Ischler Beobachter῾, einer Bad Ischler Zeitung, veröffentlichte Hetzartikel gegen jüdische Einheimische und jüdische Kurgäste. Doch die Stadtverantwortlichen waren um die Nächtigungszahlen besorgt und sahen vielfach über diese Publikationen hinweg (vgl. Quatember u.a. 2024: 91). Trotz all dieser negativen Stimmungsmache verzichteten vorerst nur wenige der jüdischen Feriengäste auf ihre alljährlichen Aufenthalte in der Kurstadt.

Mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich im März 1938 änderte sich die Lage gravierend. Die Einheimischen zeigten ihren Antisemitismus offen und agierten häufig radikal. Sie plünderten jüdische Geschäfte und verfolgten das Ziel, jüdische Betriebe aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen. Es hieß, sie seien an der Arbeitslosigkeit, die damals im Lande herrschte, Schuld (vgl. Wagner 2023: 86ff.; Höllinger 2009: 19). Im Sommer 1938 verboten die Nazis den jüdischen Bürger:innen das Tragen von Dirndl und Lederhosen. Viele jüdische Sommergäste reisten 1938 nicht mehr an, weil sie bereits mit Emigrationsplänen beschäftigt waren (vgl. Herz-Kestranek 2009: 197ff.).

„Arisierungen“ jüdischen Besitzes in Bad Ischl

Bereits kurz nach der Annexion 1938 traten Spekulanten und Spekulantinnen an jüdische Immobilienbesitzer:innen heran, um sie zur Veräußerung ihres Besitzes zu überreden. Viele Juden und Jüdinnen waren damals in einer finanziellen Notlage und gaben ihren Besitz weit unter dem tatsächlichen Wert ab. Die Enteignungen bzw. der Zwang zur Veräußerung jüdischer Liegenschaften wurde erst mit der ‚Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938῾ offiziell legitimiert (vgl. Höllinger 2009: 19).

In Bad Ischl nutzte Ing. Wilhelm Haenel, ein Nationalsozialist der ersten Stunde, die antisemitische Tendenz innerhalb der Bevölkerung, und ernannte sich selbst zum ‚Arisierungskommissär‛. Haenel war deutscher Herkunft. Nach seiner Heirat mit der Pianistin Gabriela Pancera, die in Ischl eine Villa besaß, wurde die Kurstadt sein neuer Wohnort. Eine Zeitlang betrieb er eine Landwirtschaft und eine Likörerzeugung. Nach dem Tod seiner Frau vermietete er Zimmer an Sommergäste. Bereits 1935 wurde er ‚Vertrauensmann der NSDAP‛ und baute die Ortstruppe Ischl auf. Bis 1938 übte er verschiedene Ämter innerhalb der Partei aus. In diesem Jahr präsentierte er sich als ‚Beauftragter der Partei‛, der für den Verkauf von jüdischen Besitztümern in Bad Ischl zuständig war (vgl. Höllinger 2009: 20). Zahlreiche Schriftstücke Haenels zeugen von seiner skrupellosen Handlungsweise gegenüber jüdischen Realitätenbesitzer:innen. Drohungen und erpresserische Briefe zwangen diese, ihre Liegenschaften zugunsten des Reiches zu verkaufen. Dabei wurde Haenel vom Bad Ischler Sparkassenleiter Anton Kaindlsdorfer, der ein eigens für das jüdische Vermögen eingerichtetes Konto verwaltete, unterstützt. Die Kaufverträge setzte der Rechtsanwalt Dr. Franz Joseph Hirschler auf und war auch für deren Abwicklung zuständig (ebd. 2009: 21).

1939 wurden die Arisierungsangelegenheiten an die Vermögensverkehrsstelle in Wien weitergeleitet. Sie diente nun als offizielles Amt für Arisierungen. Haenel, hatte aber nach wie vor Einfluss, weil er weiterhin die Auswahl der Verkäufe traf. So erwarb er beispielsweise die Liegenschaften für den Gau Oberdonau zu einem Spottpreis, um sie dann um ein Vielfaches an ‚Arier‛(Parteigenossen:innen) weiterzuverkaufen (ebd.: 22ff.). In Bad Ischl wurden 98 Liegenschaften bzw. Anteile arisiert (ebd.: 23). Die Historikerin Marie-Theres Arnbom beschreibt in ihren Büchern über die Villen des Salzkammerguts, mit welcher Menschenverachtung das Hab und Gut abgepresst wurde (Arnbom 2017: 2021).

Beim Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im März 1938 verhielten sich die Bewohner:innen Bad Ischls, wie in anderen Landesteilen, ambivalent. Manche sahen im Nationalsozialismus eine Rettung aus dem wirtschaftlichen Niedergang, den sie vielfach jüdischen Personen anlasteten. Zugleich gab es eine Minderheit, die im Nationalsozialismus eine Gefahr für den Staat und dessen Bewohner:innen voraussah und sich dem Widerstand anschloss.

Kulturhauptstadt Bad Ischl/Salzkammergut 2024 Beispiele der Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit

Im Kontext der Kulturhauptstadt, wenn die einheimische und die internationale Öffentlichkeit auf Bad Ischl und das übrige Salzkammergut blicken, sollen die historischen Verwicklungen und die Folgen der nationalsozialistischen Zeit nicht verschwiegen werden, sondern initiierte Projekte eine Plattform für diese Thematik bieten und zur Reflexion dienen.

Für die Programmgestalter:innen des Kulturhauptstadtjahres war die Vermittlung der Geschichte durch Kunst und Kultur ein wesentlicher Aspekt. Dabei sollen auch Gegenwartskünstler:innen die Möglichkeit bekommen, ihre Sichtweisen der Vergangenheit umzusetzen. Eine zeitgenössische Kunstpräsentation mit dem Titel Das Leben der Dinge. Geraubt – verschleppt – gerettet im ehemaligen Marktrichterhaus von Lauffen behandelt das Schicksal von Kunstwerken und Artefakten von der Kolonialzeit bis zum Dritten Reich. Das Augenmerk liegt auf dem immateriellen Wert der Gegenstände, die aber alle eine Geschichte oder Erinnerung in sich tragen.

Eröffnung in Lauffen: STV1 Bad Ischl Regionalfernsehen [youtube]

Mit der Geschichte des Judentums im Salzkammergut – einem lang vernachlässigten Themenbereich – befassten sich zwei Autorinnen. Die Historikerin Nina Höllinger recherchierte das Leben verfolgter jüdischer Familien im Salzkammergut und publizierte die Ergebnisse in dem Buch Habt ihr meiner vergessen? In Bad Ischl standen bisher vor allem jüdische Künstler:innen oder Villenbesitzer:innen im Fokus von Publikationen. Doch viele dieser Personen zählten nicht zur ansässigen jüdischen Bevölkerung. Die evangelische Theologin und Autorin Verena Wagner erzählt in ihrem Buch Eine jüdische Gemeinde in Bad Ischl die Geschichte einer kleinen jüdischen Kommune ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er. Wagner reduziert die jüdischen Ischler:innen nicht auf ihre spätere Opferrolle, sondern schildert sie als selbstbewusste und engagierte Mitglieder der Ischler Gemeinde. Diese beiden Bücher schließen eine Lücke in der Geschichte Bad Ischls bzw. des Salzkammerguts. Personen werden ‚sichtbar῾ gemacht, deren Schicksale bisher unerforscht waren. Bei der Benennung neuer Straßen und der Anbringung von Gedenktafeln werden nun jene Menschen gewürdigt, die zu lange übersehen wurden.

Die Integration von heiklen Themen wie Antisemitismus in das Kulturhauptstadtprogramm setzt einen Gegenpol zu einer romantisierenden Habsburger-Verklärung. Es bedarf aber einer kontinuierlich fortgesetzten kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit über das Kulturhauptstadtjahr hinaus. Erst ein genaues Verstehen sorgt dafür, lokale und globale Identitäten anzuerkennen und zu respektieren.

„Sich erinnern heißt, Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten“ (Salzkammergut 2024).

Literatur und Quellen

Arnbom, Marie-Theres (2017): Die Villen von Bad Ischl. Wenn Häuser Geschichten erzählen, Wien: Amalthea Verlag.

Arnbom, Marie-Theres (2021): Die Villen vom Ausseerland. Wenn Häuser Geschichten erzählen, Wien: Amalthea Verlag.

Herz-Kestranek, Miguel (2009): Trachtenrock gegen Rassenwahn. Zum Stellenwert der Volkskultur in der Debatte um das richtige „Gedenken“ an Österreichs „Anschluss“, in: Loewy, Hanno (Hrsg.)/Milchram, Gerhard (Hrsg.) (2009): „Hast du meine Alpen gesehen?“ Eine jüdische Beziehungsgeschichte, Hohenems-Wien: Bucher Verlag, S.176-205.

Höllinger, Nina (2009): Vermögensentzug („Arisierungen“) an jüdischen Liegenschaften in Bad Ischl, in: betrifft widerstand, Hrsg. Verein Zeitgeschichte, Museum und KZ-Gedenkstätte Ebensee, Bd. 92, S.19-25.

Höllinger, Nina (2009): Die Rückstellung von „arisierten“ Liegenschaften in Bad Ischl, in:  betrifft widerstand, Hrsg. Verein Zeitgeschichte, Museum und KZ-Gedenkstätte Ebensee. Bd .94, S.43-247.

Höllinger, Nina (2011): Die Causa Löhner. Vermögensentzug („Arisierungen“) an jüdischen Liegenschaften in Bad Ischl, Medienbegleitheft zur DVD 12491. Hrsg.: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.

Höllinger, Nina (2024): „Habt ihr meiner vergessen?“ Das Leben verfolgter jüdischer Familien im Salzkammergut. Widerstandsverlag Ebensee.

Kreuzner, Bernd (2015): Tourismus ohne Kaiser. Das Salzkammergut und die oberösterreichischen Kurorte in der Zwischenkriegszeit, in: Oberösterreichisches Landesarchiv (Hrsg.): Oberösterreich 1918-1938. Bd. 2. Linz.

Lichtblau, Albert (2009): Ambivalenzen der Faszination: Sommerfrische und Berge, in: Loewy, Hanno (Hrsg.) /Milchram, Gerhard (Hrsg.) (2009): „Hast du meine Alpen gesehen?“ Eine jüdische Beziehungsgeschichte, Hohenems-Wien: Bucher Verlag, S.116-130.

Lichtblau, Albert (2024): Jüdische Gäste im Salzkammergut, in: Neiß, Herta (Hrsg.)/John, Michael (Hrsg.) (2024): Sehnsucht Salzkammergut, Wien:  Böhlau Verlag, S.133-141.

Loewy, Hanno (Hrsg.)/ Milchram, Gerhard (Hrsg.) (2009): „Hast du meine Alpen gesehen?“ Eine jüdische Beziehungsgeschichte, Hohenems-Wien:  Bucher Verlag.

Neiß , Herta (Hrsg.)/John, Michael (Hrsg.) (2024): Sehnsucht Salzkammergut, Wien: Böhlau Verlag.

Nowotny, Ingrid (2021): Das Haenel-Pancera Familienmuseum in Bad Ischl, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 33.Jg, Nr.129, Juni 2021, Ebenfurth: DAVID Jüdischer Kulturverein, S.40-43.

Oberösterreichische Nachrichten vom 5. Juli 2014: Harte Zeiten für den Kaiser und Bad Ischl. https://www.nachrichten.at/meine-welt/geschichte/erster-weltkrieg/ (10.09.2024).

Quatember, Wolfgang/Felber, Ulrike /Robinek, Susanne (2024): Politisches Salzkammergut. Republiksgeschichte 1918-1938/1945-1955, 2.Aufl., Zeitgeschichte Museum Ebensee.

Salzkammergut 2024: European Capital of Culture. Bad Ischl Salzkammergut.

https://www.salzkammergut-2024.at /wp-content/uploads/2024/04/22042024-PT-Macht-und-Tradition.pdf. (13.11.2024).

Strasser, Christian/ Lehner Gerald/ Robinek, Susanne (2024): Im Schatten von Hitlers Alpenfestung, Reiseführer durch die braune Topografie Salzkammergut, Wien: Czernin Verlag.

Wagner, Verena (2023): Eine jüdische Gemeinde in Bad Ischl, Linz: Oberösterreichisches Landesarchiv.

Wakounig, Marija (2024): Monarchie im Salzkammergut, in: Neiß, Herta (Hrsg.)/John, Michael (Hrsg.) (2024): Sehnsucht Salzkammergut. Wien: Böhlau Verlag., S.69-77.

Zeitschriften:

betrifft widerstand, Hrsg. Verein Zeitgeschichte, Museum und KZ-Gedenkstätte Ebensee.

David. Jüdische Kulturzeitschrift, 33.Jg, Nr.129, Juni 2021, Ebenfurth: DAVID Jüdischer Kulturverein.