Feministisch bestickte Baustellennetze
Diese Kachel befasst sich mit dem ‚Solange-Projekt‘, einem partizipativen und auf kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Ungleichheit ausgerichteten Kunstprojekt im öffentlichen Raum, das im Rahmen des europäischen Kulturhauptstadttitels 2024 auch nach Bad Ischl kam. Neben der Bewusstmachung eines gesellschaftlich relevanten Themas zielt die Kunstinstallation laut eines Team-Mitglieds des KHS-Büro in diesem Rahmen auch darauf ab, die Region für die Jugend und Besucher:innen attraktiver zu machen.
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Solange die Sätze gebraucht werden
Ein feministisches Kunstprojekt für die ‚liabe kleine‘ Kulturhauptstadt
Mit Bad Ischl assoziieren viele Menschen in- und außerhalb Österreichs ein bestimmtes Bild: Sie denken an den Kaiserkult, Trachten und ‚lokales Brauchtum‘. Ein gesellschaftskritisches Kunstprojekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Bad Ischl, Bannerstadt der insgesamt 23 beteiligten Gemeinden im Salzkammergut für den Titel, sollte als Programmpunkt neue Fragen und Themen in die Region bringen.
Es handelt sich dabei um ein feministisches Kunstprojekt im Slogan-Format der Künstlerin Katharina Cibulka, für das Baustellennetze mit Sätzen bestickt werden, die mit Solange beginnen und mit bin ich Feminist:in enden. Die Idee kam der Künstlerin, als sie nach längerer Zeit im Ausland wieder nach Tirol zurückkehrte und mit einem immer noch stark gelebten Patriarchat, veralteten Strukturen und nicht aktivistisch aktiven jungen Leuten konfrontiert war. Neben österreichischen Städten wie Wien, Innsbruck, Salzburg, Bregenz, Klagenfurt und Linz schmückten die Slogans bisher schon international Baustellenfassaden in Deutschland, Italien, Frankreich, Slowenien, den USA und Marokko. Das Kunstprojekt entwickelt sich fortlaufend weiter und ist unabgeschlossen (Cibulka: 09:15-23).
Im November 2023 hatte ich die Möglichkeit, Vorbereitungen der Kulturhauptstadt vor Ort im Rahmen einer Exkursion genauer zu studieren und nicht nur mit Bewohner:innen des Salzkammerguts, sondern auch mit einem Team-Mitglied des Kulturhauptstadtbüros und der Künstlerin selbst zu sprechen. Anfang des Jahres 2024 wurde das Projekt vor Ort umgesetzt. Ein im Rahmen der Kulturhauptstadt an die Region angepasster Slogan wurde am Baustellennetz des zentralgelegenen Postgebäudes enthüllt: „Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in“ (Katharina Cibulka: online).
An der Genese der Slogans des SOLANGE-Projekts wirkten auch die jeweiligen Gemeinden mit. Die Bevölkerung hatte die Möglichkeit, SOLANGE Sätze einzusenden, wodurch sich im Salzkammergut 1.000 Einreichungen ergaben (E-Mail KHS Büro: 14.10.24). Neben allgemeinen Themen wie der generellen ‚Unterdrückung‘ von Frauen ließ sich an diesen Einsendungen eine Konzentration auf Sicherheit, Angst, Altersarmut und vor allem auf „Traditionen, die nicht angepasst werden und dadurch wenig Bewegung und Entwicklung zulassen“, herauslesen, wie Cibulka im Interview mir gegenüber äußert (Cibulka: 09:28). Dieser Fokus wurde dann in den Solange-Satz für die Kulturhauptstadt eingebaut.
Über eine Straßenumfrage vor Ort konnte ich feststellen, dass vielen der Befragten das SOLANGE-Projekt unbekannt war oder sie lediglich am Rande davon gehört hatten. Neben zwiespältigen Reaktionen über die Inhalte kamen besonders Sorgen über die Tourismusentwicklung in Folge des Kulturhauptstadtprojektes zur Sprache (informelle Gespräche 2023). Trotzdem waren sich die meisten Befragten einig darüber, dass das Projekt ’seinen Sinn‘ mache, wobei vor allem die Sichtbarkeit der Installation, die damit gewonnene Aufmerksamkeit für die Kunst in der Kulturhauptstadt und die Sensibilisierung für feministische Themen hervorgehoben wurden (informelle Gespräche 2023). Jüngere Befragte betonten die Relevanz der Thematik gerade für junge Menschen im ländlichen Raum, emanzipatorische Anliegen würden bei der älteren ‚eingesessenen‘ Bevölkerung nämlich meist auf viel Gegenwind stoßen (informelles Gespräch 2023). Meine Gesprächspartnerin aus dem KHS-Büro bestätigt, dass ländliche Regionen im Salzkammergut im Vergleich zu Städten eine „niedrigere Toleranz gegenüber Neuem“ hätten. Die Kulturhauptstadt würde als Landesausstellung missverstanden, während das vorgegebene/EU- (o.ä.) Ziel sei, dass sich die Region kulturell und künstlerisch weiterentwickelt (KHS-Büro: 14:21-37).
Was sich jedoch in dem Interview mit dem Team-Mitglied des KHS-Büros vor allem herauskristallisiert hat, war die Vehemenz von Einzelstimmen: Die Rede war von wenigen negativen Stimmen, welche umso lauter und vehementer ihre Meinung äußerten und dadurch das Gesamtbild der Reaktionen überwiegend negativ wirken ließen (KHS-Büro: 14:07). Dies konnte ich auch in den acht informell geführten Straßenumfragen erkennen, wo sich nur wenige Personen äußerst negativ zu dem Projekt äußerten. In informellen Gesprächen erklärten beispielsweise zwei Frauen, dass die Baustelle ein ‚heikles‘ Thema sei und nicht für provokante Zwecke genutzt werden sollte. Die Idee sei ‚toll‘, doch der Ort der Umsetzung passe nicht (informelles Gespräch: 2023). Die Künstlerin und das SOLANGE-Team wollen dezidiert ohne Anklage texten, aber doch eine Botschaft vermitteln: Katharina Cibulka wählt für ihre Installationen gezielt Baustellen als Standorte für die Netze, um so den Gegensatz zwischen der männlich konnotierten Bauindustrie und der weiblich behafteten Technik des Stickens zu betonen (Cibulka: 09:18).
Cibulka erklärt: „Es [das Baustellengebäude] ist auch nur so lange eingerüstet, solange etwas in Ordnung gebracht wird, also verschwindet es ja dann irgendwann und ich hoffe ja, dass diese SOLANGE-Sätze irgendwann auch nicht mehr notwendig sein müssen.“ (Cibulka: 09:17). Mit diesem Zitat bringt sie das Projekt und ihren Wunsch dadurch Aktivismus zu fördern, für Gleichberechtigung einzustehen und die Öffentlichkeit zu Gesprächen über diese Thematik anzuregen, auf den Punkt. Die Baustelle ermöglicht es, die Aussage der Sprüche jedem zugänglich machen zu können. Im Instagram-Post des solange_theproject Accounts zur Installation am 19.01.2024 steht: „Viel zu lange wurde vor allem Frauen, Mädchen und andere[n] marginalisierten Gruppen nicht zugehört. Vieles, was immer schon so war, ging und geht nach wie vor auf deren Kosten“ (Instagram Solange: online). Das SOLANGE-Projekt übt Kritik an Selbstverständlichkeiten und Regeln in der Region, die immer noch geschlechterbezogene Ausgrenzungen betreiben.
Im Rahmen der Kulturhauptstadt wird aktiv daran gearbeitet, das Programm offen zu gestalten und dadurch auch attraktiver für Bewohner:innen und Tourist:innen zu machen. Dabei vertritt das KHS-Büro einen breit gefassten Kulturbegriff, der viele verschiedene Zielgruppen adressiere und sowohl ‚Traditionen‘ zu erhalten als auch zugleich neue zu etablieren versuche: „Der Schritt in die Zukunft ist nur möglich mit Blick in die Vergangenheit und einer produktiven Bearbeitung dieser“, äußert sich ein Team-Mitglied im Interview. Bewusst solle der Finger „in die Wunde gelegt oder Salz in die Wunde gestreut“ werden, so dass „diese dann auch schneller abheilen“ könne (KHS-Büro: 14:35-36). Projekte wie die SOLANGE-Sätze sind eine Möglichkeit hierzu und zudem geeignet, die Region unter anderem für Jugendliche attraktiver zu machen.
Ob durch das ‚Salz in die Wunde streuen‘ etwas größeres in die Wege geleitet werden kann oder die Baustellen irgendwann nicht mehr notwendig sein werden, wird sich also zukünftig noch zeigen.
Literatur und Quellen
E-Mail Verlauf mit einem Team-Mitglied des Kulturhauptstadtbüros (14.10.2024)
Informelle Gespräche (1.8.2023): anonymisiert
Instagram: Solange: online https://www.instagram.com/p/C2SsfnfsnJ9/?utm_source=ig_web_copy_link&igsh=MzRlODBiNWFlZA== (zuletzt aufgerufen: 21.01.2024)
Interview: Cibulka, Katharina 2023, 09:15:00-09:49:33
Interview: Kulturhauptstadtbüro (KHS-Büro) 2023, 14:00:00-14:40:00
Katharina Cibulka: January – April 2024 [online] https://www.katharina-cibulka.com/news/as-long-as-things-stay-the-same-because-its-always-been-this-way-i-will-be-a-feminist/ (zuletzt aufgerufen: 08.10.2024)
Salzkammergut (2024). Solange #29 (wie lange) bist du Feminist:in? https://www.salzkammergut-2024.at/projekte/solange/ (zuletzt aufgerufen: 06.10.2024)