‚Kultur wahrnehmen‘ in der Kulturhauptstadt Bad Ischl
Wie präsentiert sich die Kulturhauptstadt Bad Ischl den Besucher:innen? Sieht man die ‚Einheit in der Vielfalt‘, spürt man Europa? Dieser Beitrag stellt meinen Versuch dar, subjektive Eindrücke und Beobachtungen, die ich während meines Forschungsaufenthalts in Bad Ischl und am Grundlsee gemacht habe, mit den Medien Film und Fotografie zu dokumentieren.
24
Das hier gezeigte Bild- und Tonmaterial bezieht sich auf eine Woche, die ich im Juni 2024 beobachtend in der Kulturhauptstadt Bad Ischl verbracht habe. Meinem grundsätzlichen Interesse an Kunst und Fotografie entsprechend habe ich möglichst viele Ausstellungen und Kulturveranstaltungen besucht, Interviews mit einigen Mitgestalter:innen des Kulturhauptstadtprogramms geführt und versucht, mit offenen Augen und Ohren durch die Kleinstadt zu gehen.
Erste Eindrücke
Bei der Ankunft am Bahnhof war ich kurz enttäuscht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass hier sehr viel Betrieb war. Der Bahnhof machte sogar einen leicht vernachlässigten, nicht ganz sauberen Eindruck. Der Schalter war geschlossen, das Bahnhofsrestaurant auch. Unter ‚Kulturhauptstadt‘ hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ich wollte empfangen und begrüßt werden. Ich hatte ‚Eventkultur‘ erwartet und davon war nichts zu sehen.
Am Fußweg zum Zentrum sah ich dann doch eine orange Fahne, platziert vor einer Schule. Orange ist eine Signalfarbe: sie wird für das Logo der Kulturhauptstadt Bad Ischl verwendet. Das Logo, das die Umrissform des Salzkammerguts hat und diese Region symbolisieren soll, war mir schon vom Programmkatalog und der Website bekannt. Dieses Logo war im Ort immer wieder zu sehen: im Zentrum, bei der Trinkhalle, die zugleich Veranstaltungsort und Info-Point war und auf diversen Drucksorten. Es war natürlich bei Eingängen zu Ausstellungen platziert, aber manchmal auch recht unvermutet bei Geschäften angebracht, wie zum Beispiel am Zaun einer Blumenhandlung. Einige Male sah ich das Logo auch dreidimensional, zum Beispiel ausgeschnitten aus einer Holzplatte, die orange lackiert war und beim Eingang zu einer Ausstellung an die Mauer gelehnt war. Das machte einen zugleich unprofessionellen wie rührenden Eindruck auf mich, es sah nach Handwerk aus, was durchaus in die ländliche Gegend passte.
Die Mischung aus höchst professionell gestalteten Ausstellungen mit internationalen Künstler:innen einerseits und eher kleinteiligen, von lokalen Interessen geleiteten Programmpunkten andererseits setzte sich fort. Diese ‚Melange‘ verbreitete einen eigenen, provinziellen Charme. So sah ich zwei fotografische Serien, die in Parks, also im öffentlichen Raum und frei zugänglich platziert waren. Ein ungewöhnlich niederschwelliger Zugang, mit dem man ein zufälliges und dadurch breiteres Publikum erreichen konnte. Beim Spazierengehen wurden die Besucher:innen mit Kunst konfrontiert. Insgesamt bot das Programm eine breite Mischung aus vielfältigen Kunstformaten, sowohl kleinteilige aus der Region, als auch unkonventionelle Formate, die zum Hinterfragen und zum Dialog einluden.
Kunst im KHS-Programm
Eine der zentralen Ausstellungen war Transcending borders des bekannten chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei. Er bespielte sowohl mehrere Locations am Gelände des Kaiserparks, Indoor im Marmorschlössl und in den Stallungen, als auch Outdoor im Kaiserpark. Der Künstler stellte eine Begegnung zwischen der Hallstatt- und der frühen chinesischen Kultur her. Gleichzeitig war die Ausstellung ein Querschnitt seiner Arbeiten der letzten zehn Jahre. Die Soldatenhelme in den Stallungen, die in Gmunden hergestellt wurden, bezogen sich nicht nur auf historische, sondern auch auf aktuelle, gegenwärtige Kriege. Die Ai Weiwei Ausstellung war ein Anziehungspunkt für die europäische ‚Kulturschickeria‘, für ausstellungsaffine Besucher:innen, sie wurde zudem international medial rezipiert.
Die eigentliche Hauptshow Kunst mit Salz und Wasser im Sudhaus stand in großem Kontrast zur Ausstellung Transcending borders. Der Kontrast ergab sich aus der Wahl des Standorts, das ehemalige Sudhaus, das im Wesentlichen baulich unverändert als Ausstellungsraum diente und kein Repräsentationsraum war wie die Kaiservilla. Die Ausstellung zog meiner Meinung nach auch ein anderes und breiteres Publikum an. Ich habe sie zweimal besucht und hatte den Eindruck, dass sie vor allem von der ländlichen Bevölkerung, vielleicht direkt aus der Umgebung, besucht wurde. Führungen wurden durchgeführt, an denen auch Schulklassen teilnahmen. Die Ausstellung wurde von Gottfried Hattinger kuratiert, der eine Vielzahl an internationalen Künstler:innen eingeladen hatte, die sich mit dem ‚weißen Gold‘ und dessen Geschichte in der Region auseinandersetzten. Nicht ein Künstler stand im Vordergrund, sondern das Thema. Die zeitgenössischen Formate waren unterschiedlich: Objekte, Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten. Sie gingen sowohl gesellschaftskritisch als auch erklärend an das Thema Salz und Wasser heran. Viele Arbeiten setzen sich mit der Materialität von Salz und Wasser auseinander und der gegenseitigen Abhängigkeit dieser Elemente, die bei der Salzgewinnung entsteht. Während Ai Weiwei einen Kontakt zu einem anderen Kulturraum herstellt, setzt sich der Kurator Hattinger mit dem Ort und der kulturellen Bedeutung von Salz auseinander. Durch Themen wie Nachhaltigkeit im Umgang mit Natur wird auch ein Ausblick in die Zukunft geschaffen.
Ein Schulprojekt
Ein völlig anderes Format war das Schulprojekt „Garten der Zeitläufe“. Zwei Jahre lang arbeiteten die Künstlerinnen Daniela Brasil und Sophie Krier mit den Schüler:innen der HWL Bad Ischl an einer ungenützten Fläche im Hof der Schule. Anhand von Workshops wurden die Umwelt, Biodiversität und sozialen Zusammenhänge in Bezug auf Zeitabläufe untersucht. Und so entstand aus der ungenützten Fläche ein Garten. Ich habe ihn beim Abschlussevent zur Eröffnung besucht.
Fazit
Ich erlebte die Kulturhauptstadt Bad Ischl als Überraschung. Sie war kein ‚Event‘ und keine ‚Blase‘, in der sich nur ein kunst- und kulturinteressiertes Publikum bewegte. Stattdessen bot sie viele Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Region, den Künstler:innen, Gestalter:innen und Produzent:innen, und im Besonderen den Einheimischen.