Frauenstammtisch begegnet großen Bedürfnissen hinter dicken Brettern
Stereotypisierungen von Frauen, patriarchale Strukturen und gläserne Decken im Arbeitsalltag zeigen, dass neue Projekte zur Vernetzung von Frauen gerade im ländlichen Raum des Salzkammerguts auf Notwendigkeit stoßen. Basierend auf dieser Ausgangssituation wurden Vorhaben in das Programm der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 integriert, die die Sichtbarkeit von weiblich gelesenen Personen fördern und das Leben von Frauen in ländlichen Gebieten verbessern. Die Veranstaltungen sind von einem ähnlichen prozessanstoßenden Gedanken gekennzeichnet, wie die Kulturhauptstadt selbst. Der Frauenstammtisch in Bad Mitterndorf ist eine dieser Initiativen für Frauen in der Region.
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Frauen sollten in ländlichen Regionen nicht nur als „Kirchen-Helferinnen“ (Gardavsky 2024: 01:55) oder als die „fünf Damen, die für die Altenpflege zuständig sind“ (ebd.: 01:59) Sichtbarkeit erlangen, sondern „etwas für sich machen können“ (ebd.: 02:03), so die Initiatorin des Projekts, Elisabeth Gardavsky, im Interview. Das klare Ziel sei „female empowerment“ (ebd.: 11:43). Die ehemalige Journalistin reichte das Projekt Frauenstammtisch bei der Projektausschreibung zur Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 ein, das wenig später bewilligt wurde. Das Gefühl in der „ausgesprochen patriarchalisch geprägten Gesellschaft“ (ebd.: 01:13) eine Alternative zu ‚reinen‘ Hilfsnetzwerken bieten zu müssen, hätte sie zur Einreichung bewegt.
Elisabeth Gardavsky lebt und arbeitet in Wien und der Großgemeinde Bad Mitterndorf. Aufgrund ihrer frühen familiären Verbindung zum Salzkammergut ist sie zwar nicht ausschließlich eine Zuagraßte [Person, die nicht in der Region geboren wurde, sondern während ihres Lebens zugezogen ist], wird jedoch auch nicht vollständig als Bewohnerin des Salzkammerguts anerkannt. Ressentiments gehören zu ihrem Schaffen dazu, Misstrauen und fehlendes Ernstnehmen halten sie nicht von ihrem Tun ab, erschweren aber die Prozesse (vgl. Gardavsky 2024: 33:36).
Mehr als Kinder, Kochen und Spitzenunterwäsche
In der Location Woferlstall, einem renovierten Stadl, welcher als Kulturzentrum der Großgemeinde Bad Mitterndorf fungiert, fanden zwischen April 2023 und November 2024 im Zuge des Frauenstammtisches Vorträge und Gesprächsrunden statt, um die gegenseitige Vernetzung und Unterstützung von Frauen im Salzkammergut zu fördern. Die Teilnehmerinnen wechselten sich ab, „erst [kamen] mal die jungen Frauen, […] eine Zeit lang ältere Frauen, […] und die Zweitwohnsitzerinnen, […], schön langsam [kommen] auch die Damen, […] aus etwas weiterer Entfernung“ (Gardavsky 2024: 15:50). Langfristig gesehen soll durch den Austausch eine kostenfreie Gesprächsplattform etabliert werden, die Frauen inhaltlich eine Loslösung von „Kindern, Kochen und Spitzenunterwäsche“ (ebd.: 18:06) ermöglicht.
Netzwerke abseits von Haus und Garten
Der häusliche Garten, so die Idee, wird gegen das Sprechen über Sorgen und Herausforderungen, aber auch das Teilen von Erfahrungen getauscht. Sukzessive möchte Elisabeth Gardavsky zusammen mit den Teilnehmerinnen dadurch die erstarrten Rollenverteilungen im ländlichen Raum aufbrechen und den Frauen neue Möglichkeiten der Selbstständigkeit eröffnen (vgl. Gardavsky 2024: 48:55). Netzwerkarbeit, welche Karl Marx als die „Summe der Beziehungen“ (Holzer 2009: 253) und der Soziologe Georg Simmel als „soziale Wechselwirkung“ (Holzer 2009: 253) definierten, ist Voraussetzung für beruflichen Erfolg, wie auch die Sozialwissenschaftlerinnen Schönfeld und Tschirner konstatieren (vgl. Schönfeld/ Tschirner 2017: 167).
Charakteristisch für inhalts- oder feldbezogene Netzwerke im beruflichen Kontext sind die Gruppengröße, Parameter wie Nähe und Distanz zu den Personen, aber auch die Frequenz der Verbindung. Dass diese Teilelemente entscheidend sind, zeigt ein Experiment des US-Psychologen Stanley Milgram. Im Zuge des Small World Experiments wollte er die themenspezifische Verbundenheit unterschiedlicher Menschen aufzeigen. Dazu forderte er 296 Teilnehmer:innen auf, einen Brief an eine ihnen unbekannte Person zu schicken, die Empfänger:innen sollten den Brief dann an eine Person weitergeben, von der sie glaubten, sie könne den:die Absender:in kennen. Tatsächlich kamen 64 Briefe über maximal sieben Stationen wieder bei den Ausgangspersonen an (vgl. Holzer 2009: 266).
Themenspezifische Netzwerkbildung zeigt, dass ebendiese zwischenmenschliche Verbundenheit für die Karriere, aber auch persönliche Herausforderungen gewinnbringend sein kann. Um die Erkenntnis des Small World Experiments nutzen zu können, ist es laut der Soziologin Simone Schönfeld und der Politikwissenschaftlerin Nadja Tschirner jedoch wichtig, die Interessen der anderen zu kennen, denn nur dadurch kann an einer der angesprochenen sieben Stationen auch eine:r dabei sein, der:die mir in meiner Problemstellung weiterhelfen kann (vgl. Schönfeld/ Tschirner 2017: 169). Hierbei stellen Geschlechterstereotype jedoch eine Bremse dar. Gerade bei Frauen konkurrieren die gesellschaftlich zugeschriebenen und internalisierten Verantwortungsbereiche Familie und Karriere um verfügbare Zeitressourcen, weshalb ein Austauschtreffen nach der (Care-) Arbeit öfter abgelehnt wird als von Männern. Abgesehen davon stellen die Autorinnen fest, dass sich das Stereotyp, dass planvolles Vorgehen und Eigennutzen als „unweiblich“ (Schönfeld/ Tschirner 2017: 172) gilt, hartnäckig hält. Frauen bringen sich seltener ein und nehmen zusätzliche Vernetzungsmöglichkeiten zum eigenen Weiterkommen nicht wahr, während Männer dies umso intensiver tun.
Der von mir beforschte Frauenstammtisch ist basierend auf den präsenten Themen ein notwendiger Schritt für die Frauen der Region. Fortschritt im ländlichen Raum ist ein langer Prozess und erfordert Mut. Viele Frauen nahmen an Terminen mit Referentinnen teil. Die Möglichkeiten sich neue Inputs zu holen und gleichzeitig mit Außenstehenden in Austausch zu treten, scheint für das Projekt Frauenstammtisch bis dato zu funktionieren. Treffen innerhalb der Ferienzeit oder an Fenstertagen, an denen vor allem Frauen Care-Arbeit leisten müssen, bleiben dagegen schwach bis gar nicht besucht.
Im Bewerbungsbuch des Salzkammerguts zur Kulturhauptstadt ist zwar von einem „Stich in ein Hornissennest“ (Stadtgemeinde Bad Ischl c/o Büro SKGT 2024 2020: 5) die Rede, welcher zwar keinen „wütenden Schwarm“ (Stadtgemeinde Bad Ischl c/o Büro SKGT 2024 2020: 5), aber ein „lautes Summen“ (ebd.: 5) ausgelöst hätte. Die Realität der Umsetzung des Frauenstammtisches, so Elisabeth Gardavsky, zeigt jedoch Abweichungen zu dieser Metapher, weshalb aus dem Interview zu ziehen ist:
Fortschritt braucht Engagement und Mut.
Literatur & Quellen
Holzer, Boris (2009): Netzwerktheorie, in: Kneer, Georg/ Schroer, Markus (Hrsg.): Handbuch Soziologischer Theorien, Wiesbaden: Springer, S. 253 – 277.
Informelles Gespräch im Woferlstall mit Elisabeth Gardavsky, 29.05.2024, 45 Minuten.
Informelle Kurzgespräche mit 7 verschiedenen Frauen aus dem Salzkammergut im Alter zwischen 30-65 Jahren, anonymisiert, Mai und Juni 2024.
Interview mit Elisabeth Gardavsky, 16.5.2024, 00:01-58:22.
Schönfeld, Simone/ Tschirner, Nadja (2017): Clever aus der Abseitsfalle : Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten, Wiesbaden: Springer, S. 167 – 189.
Stadtgemeinde Bad Ischl c/o Büro SKGT 2024 (2020): Bewerbungsbuch: Bad Ischl-SKGT Kulturhauptstadt Europas.