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Institutionalisierter Austausch als feministischer Anker

„Die Zukunft gehört […] den Frauen“ (Schweeger/ Eröffnung 2024: online). Um die Eröffnungsworte von Elisabeth Schweeger, künstlerische Geschäftsführerin der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024, in den kommenden Jahren wahr werden zu lassen, braucht es einen genauen und differenzierten Blick auf die Herausforderungen und Probleme dieser gesellschaftlichen Gruppe. Diskursive Formate wie der Frauenstammtisch in Bad Mitterndorf bieten eine Plattform, in welcher geschützt und offen gesprochen werden kann.

Feministische Inputs vor der Location Woferlstall/ Bad Mitterndorf/ Salzkammergut 2024 © Miriam Resch

In der konservativen Geschlechterrollenverteilung sieht die Initiatorin des Projekts Frauenstammtisch Elisabeth Gardavsky die Grundlage ungleicher Möglichkeiten der Bewohner:innen des Salzkammerguts. Dabei spielt das Management des Alltags, die sogenannte Care-Arbeit, eine große Rolle. Darunter fallen Tätigkeitbereiche wie Nachbarschaftspflege, die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Familienmitgliedern und Organisation von Arztterminen oder Freizeitbeschäftigungen. In Österreich werden in Haushalten mit Kindern zwei Drittel der Care-Arbeit und der Hausarbeit von Frauen geleistet. Dafür erhalten sie gegenwärtig weder gesellschaftliche oder finanzielle Anerkennung (vgl. Bundeskanzleramt Österreich 2024: online). Obwohl laut der ehemaligen Journalistin auch progressiver denkende Männer in der Gegend rund um Bad Mitterndorf wohnen, sei der gesellschaftliche Druck dafür verantwortlich, dass die Kinder hauptsächlich von den Müttern in Kindergarten und Schule gebracht werden. Zudem müssen eigene Interessen am Vormittag untergebracht werden, denn sobald der Vater von der Arbeit zu Hause ist, sei die Zeit, sich der Familie zu widmen (vgl. Interview: Gardavsky 2024: 10:35).

Treffpunkte zum Austausch gibt es im öffentlichen Raum bis dato nicht, Gespräche finden vormittags „um neun im Hofer“ (ebd.: 06:55) statt. Um finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, boomen unter Frauen im ländlichen Raum esoterische Berufssparten. Tätigkeiten wie „Shiatsu Massagen, Cranio Sakral Therapie oder Glasperlen auffädeln […, sei] schön, aber nicht substanziell“ (ebd.: 07:27), so Gardavsky. Gerade für junge Frauen, die meist durch kleine Kinder noch enger an die Care-Arbeit gebunden sind, fehlen Möglichkeiten und Anreize sich weiterzubilden und aus den vorgelebten Rollenbildern auszubrechen (vgl. ebd.: 10:35). Zur fehlenden Infrastruktur im ländlichen Raum kommt in der Region des steirischen Salzkammerguts der eng mit ‚Tradition und Brauchtum‘ verknüpfte Jahresablauf, welcher neben dem vorherrschenden Tourismus vor allem Frauen in der Hochsaison, sowohl im Sommer als auch im Winter, einspannt (vgl. ebd.: 48:30).

Tradition, Alkohol und Männer

In Traditionsvereinen gäbe es schlichtweg keine Frauen. Zwar sei die regional sehr präsente Freiwillige Feuerwehr mittlerweile so weit, Frauen auch in die aktiven Tätigkeiten einzubinden und nicht nur Kuchen backen zu lassen, doch bei den Trommelweibern oder der Schab kämen Frauen aufgrund der historisch argumentierten Selbstverständlichkeit „gar nicht auf die Idee nachzufragen“ (ebd.: 52:14), ob sie teilnehmen dürften. Die Trommelweiber sind eine Faschingsgruppe mit ausschließlich männlichen Mitgliedern. In der Reproduktion des Stereotyps, nach dem Männer offensichtlich nur in der Faschingszeit ihre femininen Züge ausleben dürften, tragen die Teilnehmer weiblich konnotiertes Nachtgewand und nehmen als Trommel- und Trompetenformation an Umzügen im Salzkammergut teil. Erzählungen unter den Bewohner:innen und Vereinsmitgliedern zufolge persiflieren die Trommelweiber frühere Beziehungen, in denen Männer bis tief in die Nacht stark alkoholisiert im Wirtshaus blieben, während die Frauen sich um den Haushalt und die Kinder kümmerten. Um die betrunkenen Männer nach Hause zu bekommen, sollen sie darauf hin zu Trommeln gegriffen haben (vgl. Krauß 2024: online). Die Schab hingegen sind Teil des Gefolges beim jährlichen Auftreten des Nikolaus am 6. Dezember. Männer hüllen sich gänzlich in Stroh, das Kostüm beinhaltet zudem meterlange Hörner aus Holzstecken. „Im Achtertakt schnalzen sie mit ihren Peitschen und leise raschelt das Stroh, wie sie breit und behäbig dem Zug voranschreiten und die Straße freimachen“ (Nikologruppe Bad Mitterndorf 2024: online).

Aufgrund eines überschaubaren Freizeitangebotes im Großraum Bad Mitterndorf impliziert der Ausschluss von Frauen aus diesen zwei Vereinsgruppen, dass Frauen dadurch vermehrt in den privaten Bereich gedrängt und aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. Zudem harkt an diesem Punkt erneut die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit ein, da beiden Vereinstätigkeiten eine intensive Vorbereitung vorausgeht und die männlichen Mitglieder in dieser Zeit weder Betreuungsarbeit noch Arbeit im Haushalt übernehmen können.

Die Initiatorin des Frauenstammtisches ist davon überzeugt, dass es wichtig sei „die Nase rauszustrecken“ (ebd.: 48:40), denn der „Tourismus [habe] die Gehirne gewaschen“ (ebd.: 49:09). Durch monatliche Treffen im Woferlstall wolle sie einerseits Weiterbildungsmöglichkeiten schaffen und andererseits die bestehenden Stereotype erkenntlich machen und ihnen entgegenwirken. Die Aussagen Gardavskys, die sich bereits über Jahre feministisch engagiert, schlagen daher in eine ähnliche Kerbe, wie jene von Birgit Königsheim, Head of Care Execution Excellence Global Services: „Als ich bewusst auf die Frauen […] zuging und wir uns öfter trafen, gewannen wir erstens ganz schnell mehr Sichtbarkeit und wir konnten uns gegenseitig den Rücken stärken“ (Schönfeld/ Tschirner 2017: 168). Diese gegenseitige Unterstützung fehle in vielen Bereichen im ländlichen Raum.

Gelebte Solidarität im Woferlstall

Die Solidarität unter Frauen forciert Elisabeth Gardavsky indem sie einmal im Monat Vortragende einlädt, die Input zu verschiedenen Themen einbringen und bereit sind, die Themen der Anwesenden vor Ort zu besprechen. Die Vorträge behandeln unter anderem Fragen zu finanzieller Unabhängigkeit oder der Anhäufung von Vermögen durch das Beiseitelegen von Kleinbeträgen über bestimmte Zeitfenster, ohne dass das tägliche Leben darunter leiden muss (vgl. Gardavsky 2024: 13:00). In Zusammenarbeit mit der Frauenberatungsstelle in Liezen und Bad Goisern wurde auch das Thema Mobbing besprochen. Hierzu wurde eine Geschichtenschreiberin aus der Gemeinde involviert. Gemeinsam soll Mobbing nun in szenischer Darstellung verarbeitet werden und in weiterer Folge in Form eines Theaterstücks größere Sichtbarkeit erlangen. Des Weiteren wurden infrastrukturelle Angelegenheiten wie Verkaufsmöglichkeiten selbst hergestellter Produkte diskutiert. Entstanden ist daraus das neue Regional-Regal, das Frauen eine Plattform bieten soll, Produkte aus eigener Landwirtschaft oder kreativer Tätigkeit zu einem fairen Preis zu verkaufen anstatt diese nur an Bekannte zu verschenken (vgl. ebd.: 21:59). Außerdem wurde während des Sommers eine temporäre Verkaufsstelle für lokale Künstler:innen geschaffen.

Temporärer Kunstverkauf in Bad Mitterndorf/ Salzkammergut 2024 © Miriam Resch

Im Schatten der Idylle

Gardavsky ist es ein Anliegen, die Schattenseiten hinter der touristisch inszenierten Idylle hervorzuheben. Gewalt an Frauen wie Femizid ist auch Thema im ländlichen Raum. Entgegen einer bei-uns-gibt’s-das-nicht-Einstellung möchte Gardavsky mit dem Frauenstammtisch einen Safe-Space kreieren, in welchem auch sensible Themen angesprochen und geschultes Personal vermittelt werden können. Präventionsarbeit und das Bewusstmachen, dass es sich um ein strukturelles und kein persönliches Problem handle, seien genauso wichtig wie das Bekanntmachen von geschultem Personal, denn „Gewalt […] beginnt ja nicht erst bei blauen Augen, sondern auch beim Einsperren der Familie, dem Absondern der Frauen und der Abhängigmachung“ (ebd.: 24:50). Gerade wenn Gespräche verweigert oder ein Rückzug aus der Gemeinschaft beobachtet wird, ist es gut, wenn „die Gesichter bekannt sind […] und die Damen wissen, an wen sie sich wenden können“ (ebd.: 20:12).

Female Empowerment als Katalysator

Der monatliche Austausch führt Frauen unterschiedlichster Lebensrealitäten und konträrer Meinungen an einen Tisch zusammen. Im April 2024 wurde das gesellschaftlich intensiv diskutierte Thema der Wolfspopulationen in Österreich ins Zentrum des Zusammentreffens gestellt. Dabei teilten sowohl eine Biologin und Wolfsforscherin als auch eine Schäferin ihre Erfahrungen und Herausforderungen mit der Thematik (vgl. Folgegespräch mit Gardavsky 2024/ Forschungstagebuch). Das Weitergeben von Kenntnissen helfe dabei, gegenseitiges Verständnis füreinander aufzubringen und sich als Frauen Sichtbarkeit zu verschaffen, um im gesamtgesellschaftlichen Diskurs wahrgenommen zu werden.

Neben den genannten inhaltlichen Schwerpunkten kam im Verlauf des Stammtisches der Wunsch auf, das Format in Kooperation mit Frauenberatungsstellen auch im übrigen Salzkammergut weiterzuführen. Ähnlich dem Frauenstammtisch in Bad Mitterndorf sollen sich Frauen auch in anderen Teilen der Region regelmäßig in ungezwungener Atmosphäre bei einem Getränk sicher fühlen, um über alltägliche Herausforderungen sprechen zu können und durch Expertinnen Impulse für ein selbstbestimmteres Leben erhalten.

Die Initiative birgt jedoch auch anderweitige Entwicklung:  Zum Zeitpunkt meiner Forschung waren bereits Projektideen zum Thema Mode sowie zur Beteiligung in der regionalen Politik im Entstehungsprozess. Wie lange die Zeitperiode dauern wird, bis die Gleichberechtigung der Geschlechter im ländlichen Raum zur Selbstverständlichkeit ist, bleibt offen. Unumstritten ist jedoch, dass Weiterbildungsarbeit und das Schaffen eines neuen Austauschzentrums für Frauen in der Region bereits Früchte zu tragen beginnen und eine positive Entwicklung auf das Empowerment von Frauen haben. Diese Art der Problemlösung für gesellschaftlich festgefahrene Strukturen findet sich auch als Langzeitstrategie im Konzept der Kulturhauptstadt. Die Kulturhauptstadt ist der Katalysator „Dinge aus einem anderen Blickwinkel [zu] sehen und kreative Wege [zu] finden“ (Stadtgemeinde Bad Ischl c/o Büro SKGT 2024 (2020): 8) so das Projektteam der Kulturhauptstadt in ihrem Bewerbungsbuch. Um Elisabeth Gardavsky abschließend zu zitieren: „Tatsache ist, das ist das einzige Entwicklungspotenzial, das es im Moment gibt, die Frauen“ (Gardavsky 2024: 56:55).

Genderspezifische Herausforderungen werden als Basis für Entwicklung genutzt.

Literatur & Quellen

Bundeskanzleramt Österreich (2024): Mehrbelastung von Frauen: Was heißt eigentlich Equal Care?, [online], https://www.frauenberatung.gv.at/informationen/mehrbelastung_von_Frauen_was_heisst_eigentlich_equal_care-.html [18.11.2024].

European Capital of Culture Bad Ischl Salzkammergut (2024): PT Eröffnung, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/wp-content/uploads/2024/01/PT_Eroeffnung_.pdf [29.07.2024].

Informelles Folgegespräch im Woferlstall mit Elisabeth Gardavsky, 29.05.2024, 45 Minuten.

Interview mit Elisabeth Gardavsky, 16.5.2024, 00:01-58:22.

Krauß, Werner (2024): Fasching im Ausseerland-Salzkammergut, [online], https://www.im-salzkammergut.at/veranstaltungshighlights/winter/fasching-im-salzkammergut/flinserl-and-trommelweiber-im-ausseerland/ [16.11.2024].

Nikologruppe Bad Mitterndorf (2024): Das altüberlieferte Bad Mitterndorfer Nikolospiel, [online], https://www.nikolospiel.at/nikolospiel/ [16.11.2024].

Schönfeld, Simone/ Tschirner, Nadja (2017): Clever aus der Abseitsfalle: Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten, Wiesbaden: Springer, S. 167 – 189.

Stadtgemeinde Bad Ischl c/o Büro SKGT 2024 (2020): Bewerbungsbuch: Bad Ischl-SKGT Kulturhauptstadt Europas.