Die Repräsentation älterer Menschen im Fokus der Kulturhauptstadt
Das Fotografie-Projekt Alt:Neu:Modisch der gebürtigen Bad Ischlerin Catherine Ebser hinterfragt gängige Stereotypen über ältere Menschen durch lebhafte und farbenfrohe Inszenierungen. Altern soll neu gedacht werden. Die Kulturhauptstadt verfolgt mit diesem Programmpunkt eine bewusste Sichtbarmachung der älteren Bevölkerung. Das Projekt hebt hervor, dass die Kulturhauptstadt nicht nur vermeintlich ‚traditionelle‘ und regionale Schwerpunkte setzt, sondern auch aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen thematisiert. Es werden Impulse gesetzt, die dazu anregen, das Altern neu zu verhandeln. Aber wie genau? Und für wen?
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Die Initiative der Europäischen Kulturhauptstadt (KHS) [Kachel Nr. 6] bietet jährlich einer Region oder einer Stadt (teilweise auch mehreren, wie in diesem Jahr 2024) die Möglichkeit, sich auf einer europäischen Bühne zu präsentieren. Dabei wird jedoch nicht nur die regionale Identität zur Schau gestellt. Es wird zugleich versucht, einen Raum zu schaffen, in dem lokale Eigenheiten, Zukunftsvisionen und ein gesellschaftlicher Diskurs angeregt, neu verhandelt und reflektiert werden können. Mit dieser Überlegung eröffnet das Programmteam ihr Programmbuch programmatisch: “the European Capital of Culture region will […] become […] a place of encounter and of dialogue where the inhabitants can shape their future within Europe and the world together” (Programmbuch KHS 2024: 4). Die gebotene Plattform soll ermöglichen, gesellschaftliche Themen sichtbar zu machen und durch Kunst und Kultur zukunftsweisende Impulse zu setzen.
Thematisierung von Alter im Rahmen der KHS und gesellschaftliche Relevanz
Der demographische Trend zeigt auf, dass die europäische Gesellschaft zunehmend älter wird. Es wird prognostiziert, dass diese Entwicklung auch in Zukunft keinen Halt machen wird (vgl. Prieler 2024). Auch im Rahmen der KHS soll dieses Thema, wie es im Bidbook versprochen wird, aufgegriffen werden. Doch wurde die ältere Bevölkerung auch im tatsächlichen KHS Programm integriert?
Einen Impuls zur Sichtbarmachung älterer Menschen – setzt das Projekt: Alt:Neu:Modisch der in Bad Ischl geborenen nun in Wien lebenden Künstlerin Catherine Ebser. Entlang ihres Projektes erstellte sie “bunte, strahlende und extravagante Seniorenbilder” (Ebser, 2024, online). Hierzu bot sie Senior:innen, ab 65 Jahren, ein Styling inklusive Make-Up an. Die Models konnten sich dazu mit Kleidungsstücken aus einem bereitgestellten Requisitenfundus in Schale werfen. Ob schlicht und chic, klassisch und traditionell oder extravagant und flippig, den Models wurde freie Auswahl über ihre Outfits gewährt – so die Künstlerin (vgl. ebd. 2024, online).
Im Programm der KHS finden sich weitere Projekte, die das Altern der Gesellschaft thematisieren. Zum einen bietet das assoziierte Projekt Alzheimerurlaub der MAS – Alzheimerhilfe Teilnehmer:innen die Möglichkeit, in Hotels einen speziell auf An-/Zugehörige von an Alzheimer erkrankten Menschen ausgerichteten Urlaub zu buchen. Zum anderen wurde von der gleichen Initiative 2010 ein ‘Gedächtnisparcours’konzipiert – der erste seiner Art in Österreich. Parcoursgänger:innen können während des Spaziergangs ihr Gehirn anhand von sieben Übungstafeln, die im Sisipark in Bad Ischl angebracht sind, trainieren. Die Übungen sind erstmals auch in englischer Sprache verfügbar, um der internationalen Ausrichtung der Kulturhauptstadt Rechnung zu tragen und den Inhalt einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Ein drittes Projekt, das das Altern der Gesellschaft aufgreift, ist Elizabeth Baum-Breuers Mein Kleiderkasten – weibliche Lebensfreude bis ins hohe Alter. In der Ausstellung werden die Lebensgeschichten von Frauen zwischen 63 und 103 Jahren ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Als Besonderheit für die Ausstellung im Zeitraum der KHS wurden Kleider, Biografien und Gedanken von Frauen präsentiert, die kulturelle Relevanz für das Salzkammergut besitzen (vgl. Programmbuch KHS 2024: 180).
Das Projekt Åhnlroas – Alt:Neu:Modisch von Catherine Ebser
Herausheben möchte ich das Projekt Alt:Neu:Modisch von Catherine Ebser, da es einen zentralen Fokus meiner Untersuchung darstellte. Während meines Forschungsaufenthaltes in Bad Ischl führte ich ein Interview mit der Künstlerin und besuchte ihre Ausstellung, um einen persönlichen Eindruck von ihren Arbeiten und deren Wirkung zu gewinnen.
Die Fotoausstellung ist im Sisipark in Bad Ischl installiert. Dieser liegt nicht weit entfernt vom Stadtzentrum. Das Ambiente, so erschien es mir, lädt dazu ein, den Ausstellungsbesuch als einen bewussten und entschleunigten Prozess zu erleben. Abseits von den belebteren Straßen und Gassen der Stadt schlendere ich gemächlich, in der parkähnlichen Anlage, vor mich hin und erblicke neben den Sträuchern, Bäumen und Rasenflächen in die Landschaft gestellte Porträtaufnahmen von stilvoll präsentierten Senior:innen. Die Fotos regen zum Nachdenken an über Menschen, die selbst nicht mehr im Mittelpunkt der Gesellschaft zu stehen scheinen und innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses weniger sichtbar sind.
Den Impuls für das Fotoprojekt bekam Ebser 2016 durch die Fotografien von Iris Apfel, die sie im Internet und auf Plakaten sah. “Diese Damen, gibt es die bei uns auch? Es kann ja nicht sein, dass es bei uns nur Omas in grauen Cardigans gibt” (Ebser 2024, 3:23) – fragte sie sich. Ebsers Mutter war damals als Altenpflegerin tätig, wodurch die Künstlerin schnell Zugang zu Interessierten für ihr Fotoprojekt bekam. Schon bald stand das erste Shooting an. Die Senior:innen eines lokalen Seniorenheims reagierten laut Ebser mit Begeisterung. “Einmal in der Woche Sitztanz ist halt nicht so aufregend, als wenn immer wieder mal ein lustiges Fotoshooting ist und da Halligalli gemacht wird” (ebd., 3:58), erzählt sie mir im Interview. Die Fotos, die anschließend in dem Senior:innenheim ausgestellt wurden, waren schnell ein beliebtes Gesprächsthema, wenn die Angehörigen zu Besuch kamen. Das Projekt erfuhr viel positives Feedback. Heute spricht Catherine Ebser davon, dass es ihre Berufung sei, für die Sichtbarkeit dieser oftmals in vermeintliche Unscheinbarkeit und Unsichtbarkeit geratenen Altersklasse zu sorgen.
“Solange du abliefern kannst, bist du interessant. Das heißt, solange sie dir Reisen verkaufen können, solange sie dir Kosmetik verkaufen können oder irgendwelche Klamotten oder Sonstiges, ist es noch als Zielgruppe interessant und ab einem gewissen Zeitpunkt wirst du dann ausgeklammert. Wenn ich einmal alt bin, möchte ich das nicht für mich” (Ebser 2024, 5:23).
Obschon die älteren Menschen ein numerisch wachsender Teil der Gesellschaft sind, zeigen Studien, “… that older people are highly underrepresented in advertising and are often negatively portrayed.” (Prieler 2024, online).
(© Catherine Ebser)
Wie wird Altern neu verhandelt?
Für mich stellt sich die Frage: Was für eine Art des Älter-Seins oder Älter-Werdens wird im Programm aufgegriffen und reflektiert? In welche Richtung werden die Impulse gegeben, die einen transformativen Dialog anregen sollen?
Die Kunstprojekte rekurrieren auf ein etabliertes Bild von Alter. Beide Ausstellungen definieren “Altsein” mit 63 bzw. 65 Jahren. Diese Fixierung entspricht der gesetzlichen Festlegung des Rentenalters. Doch arbeitspolitisch weist der Trend nach oben hin. In Deutschland, Irland, Großbritannien, den Niederlanden, Island und Norwegen liegt das Rentenalter für alle Geschlechter bereits bei über 65 Jahren (vgl. Yanatma 2023, online). Die Statistik des Deutschen Statistischen Bundesamts, wonach 95 % der mit Alzheimer oder Demenz diagnostizierten Menschen 65 Jahre oder älter sind (vgl. Statistisches Bundesamt 2022, online), trägt dazu bei, Menschen im Rentenalter vorwiegend mit Krankheitsbildern zu assoziieren. Dies beeinflusst nicht nur ihre gesellschaftliche Wahrnehmung, sondern auch ihr Bild in der öffentlichen Vorstellung. Das gesetzlich definierte Rentenalter von 65 Jahren prägt maßgeblich die gesellschaftliche Wahrnehmung des Altersbegriffs, wodurch ‘Altsein’ mit der Schwelle zum Rentenalter verbunden wird. Auch aus gesundheitspolitischer Sicht wird das Alter von 65 Jahren mit Blick auf im Fall von Alzheimer/Demenz als Maßstab genommen. Diese an arbeits-, gesundheits- und gesellschaftspolitische Vorgaben gekoppelte Auslegung von Alter wird in beiden Ausstellungen der KHS aufgegriffen und somit reproduziert. Wenn wir jedoch einem bekannten österreichischen Komponisten und Musiker Glauben schenken wollen, fängt das Leben erst mit 66 Jahren an.
Weiter stellt sich die Frage – ‘wer’ wird ‘wie’ dargestellt? In dem Projekt Mein Kleiderkasten waren lediglich Frauen, ihre Interessen und Biografien Inhalt der Ausstellung. Für die Kulturhauptstadt-Ausstellung wurden gezielt weibliche Repräsentant:innen ausgewählt, denen die Künstlerin Bedeutung zuschreibt. Dadurch liegt der Fokus auf Personen, die im Rahmen des genderpolitischen Frauen-Empowerments durch die KHS thematisiert werden sollen. Die alltäglichen Lebensrealitäten ‘einfacher’ lokaler Frauen rücken dagegen in den Hintergrund. Der Zugang zur Thematisierung der älteren Bevölkerung wirkt dadurch nicht inklusiv, sondern elitär.
Personen, die am Kunstprojekt von Catherine Ebser als Model teilnehmen wollten, mussten keine binärgeschlechtlichen Spezifika erfüllen. Sie bot jedem/jeder, der/die Lust hatte mitzumachen, ein Shooting an. Ebser wollte darüber die ‘normalen’ und ‘weniger spektakulären’ älteren Menschen des Salzkammerguts in spektakulärer Weise darstellen. Ihr egalitärer und nicht hierarchisierender Ansatz sorgt für Sichtbarkeit der älteren lokalen Bevölkerung. Die Künstlerin möchte damit nicht nur die Vielfalt an gesellschaftlicher Repräsentation, sondern auch den intergenerationellen Dialog fördern. Um genau diese Entwicklung zu befeuern, stellt Ebser ihre Porträts in lokalen Senior:innenhäusern und im öffentlich zugänglichen Sisipark aus, damit sie als ein offener Ort der Kunst und der Begegnung erfahrbar werden.
Kritisch zu beurteilen ist die Tatsache, dass die Alt:Neu:Modisch Ausstellung und der Alzheimerparcours am gleichen Standort plaziert sind, nämlich im Sisipark in Bad Ischl. Damit wird ein visuell wahrnehmbarer Bogen zwischen den Themen Alter und Demenz hergestgellt und das problematische Bild von kranken älteren Menschen reproduziert. Die Stigmata, welche Ebser versuchte aufzubrechen, werden durch den Standort der Ausstellung eher bestätigt.
Bilanz: Repräsentation älterer Menschen im Kontext der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024
Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass die Ausstellungen im Rahmen der KHS ein Verständnis von ‘Alter’ ab der Altersschwelle von 65 Jahren transportieren, das an arbeits- und gesundheitspolitische Vorgaben geknüpft ist.
Das Projekt Mein Kleiderkasten vermittelt zwar ein stärkendes und inspirierendes Bild, richtet seinen Fokus jedoch hauptsächlich auf bekannte Frauenpersönlichkeiten, denen kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung zugeschrieben wird. Dies fördert eine elitäre Darstellung älterer Menschen, die als besonders ‘würdig’ für eine Thematisierung gelten. Die alltäglichen Lebensrealitäten der breiten Bevölkerungsgruppe werden nur unzureichend integriert. Das im Bidbook ausformulierte Ziel, dass Menschen, die nur wenig sichtbar sind, in die kulturellen Veranstaltungen eingebunden werden sollen, wird somit verfehlt (Bidbook KHS 2024, 15).
Die Standortwahl des Sisiparks für Ebsers Fotoausstellung abseits des Stadtzentrums in Kombination mit dem dort angebrachten Alzheimer Parcours zeigt zudemeine ungewollte stereotypisierende Darstellung von Menschen, in der Alter und Krankheit aneinander gekoppelt sind. Erschaffen wurde eine “Altersinsel” die sich als Spiegel der herrschenden gesellschaftlichen Tendenz deuten lässt, die ältere Bevölkerung noch immer mit stigmatisierenden Zuschreibungen zu verbinden.
Das Projekt des Alzheimerurlaubs der MAS Alzheimerhilfe kann als Ausdruck einer Ökonomisierung von alten, erkrankten Menschen in einer vom Hypertourismus geprägten Region gelesen werden. Zu beobachten ist ein wachsender Wirtschaftszweig, der sich auf alte Menschen konzentriert und geldlich zu erwerbende Dienstleistungen anbietet, was die weiter oben genannte Aussage von Catherine Ebser, dass man nur dann als interessant gilt, wenn man konsumiert, attestiert.
Zugleich ist ein Alter aufwertender und ästhetisierender Effekt nicht zu leugnen: Während die öffentliche Präsentation von ungewöhnlich und markant präsentierten älteren Menschen im Sisipark diese tendenziell pathologisiert, werden die Models in der Ausstellung der Porträtfotografien in den regionalen Senior:innenhäusern mit einer kreativen und lebensbejahenden Perspektive auf das Altern dargestellt, was dazu noch das Image der Senior:innenhäuser positiv beeinflussen kann.
Dadurch, dass die Ausstellung von Elizabeth Baum-Breuer außerhalb der KHS ihren Blick auf ‘normale’ Seniorinnen richtet, wird im Gegensatz zu dem elitären Zugang der KHS die breite Bevölkerung einbezogen.
Ein Blick hinter die Kulissen – Catherine Ebser – Altmodisch – Senioren-Portraitfotografie
Literatur & Quellen
Bidbook Bad Ischl SKGT24 Kulturhauptstadt Europas (2020): https://www.salzkammergut-2024.at/ wp-content/uploads/2022/11/kulturhauptstadt-salzkammergut-pdf- DEUTSCH_Bewerbungsbuch.pdf [08.12.2024].
Ebser, Catherine (2024): [online], https://www.altmodisch.at/altmodisch/ [08.12.2024].
Prieler, Michael (2024): Representations of Older People in Advertising: A Review. Advertising & Society Quarterly 25(1) [online], https://dx.doi.org/10.1353/asr.2024.a924348. [3.11.2024].
Programmbuch der europäischen Kulturhauptstadt 2024 Salzkammergut (2023): [online], https://www.salzkammergut-2024.at/wp-content/uploads/2024/01/Programmbuch-Salzkammergut-2024- v2.pdf [08.12.2024].
Statistisches Bundesamt (2022): Zahl der Woche Nr. 38 vom 20. September 2022, [online], https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2022/PD22_38_p002.html [08.12.2024].
Yanatma, Servet (2023): In welchem Land in Europa ist das Rentenalter am höchsten und wo am niedrigsten? In: euronews, [online], https://de.euronews.com/next/2023/01/12/rentenalter-europa-vergleich
Ebser, Catherine 27.06.2024, 00:00 – 44:29.