Lokale Konflikte und Perspektiven
Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Kritik an der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 (KHS) und beleuchtet unterschiedliche Perspektiven von Künstler:innen und lokalen Akteur:innen. Wahrgenommene Unstimmigkeiten reichten von mangelnder Zusammenarbeit über unzureichende Einbindung der regionalen Bevölkerung bis hin zu Abweichungen vom ursprünglichen Konzept.
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Die Kulturhauptstadt Europas ist ein Großevent, das die Repräsentation ‚kultureller Identität‘, das Erreichen internationaler Aufmerksamkeit sowie die Förderung regionaler Entwicklung zu vereinen versucht. Das Resultat dieser Bestrebungen findet jedoch nicht nur Zuspruch und Begeisterung, sondern auch Kritik aus unterschiedlichsten Richtungen. Im Folgenden werden die Kritikpunkte benannt, welche sich aus Interviews mit lokalen Akteur:innen und weiteren medialen Verhandlungen abbilden. Zur Verortung der kritischen Stimmen nutze ich die Kennzeichnungen ‚innen’, ‚halb-innen’ und ‚außen’. Diese Klassifizierung bezieht sich auf die Position der Kritik äußernden Person in Bezug auf den Gegenstand der Kritik, also die KHS. Mit ‚innen’ meine ich eine Person, die eine aktive Funktion in der KHS übernimmt. Als ‚halb-innen’ bezeichne ich Stimmen von Personen die weder ganz dazugehörig noch außenstehend sind. Solche, die aufgrund ihres Hintergrunds nur indirekt mit der KHS verbunden sind, kennzeichne ich als ,außen’. Alexander De Goederen und Willy, zwei in Bad-Ischl lebende Kulturakteure, verorte ich als ‚halb-innen’. Als ‚außen’ bezeichne ich die kritischen Stimmen von beispielsweise Journalist:innen und Forschenden wie mir selbst.
Beginnen möchte ich mit einer Impression vor Ort: Warum ist der Eventcharakter der KHS in der Bannerstadt Bad-Ischl kaum sichtbar? Bei der Ankunft am Bahnhof lachte uns (das Forscher:innen-Team aus Wien) lediglich ein unauffälliges, orangefarbenes Plakat an. Der erste Eindruck von dem Großevent vor Ort war, im Kontrast zu dem beeindruckenden und nicht wenig polarisierenden Eröffnungsspektakel, ernüchternder Natur.
Kritikpunkte: Einbindung, Sichtbarkeit und Nachhaltigkeit
Die zurückhaltende Präsenz der KHS im öffentlichen Raum von Bad-Ischl lenkt den Blick auf die Einbindung und Sichtbarkeit lokaler Kulturakteur:innen, wie Alexander De Goederen. Trotz seines vielseitigen kulturellen Engagements ist er überraschenderweise nicht in die Gestaltung der KHS eingebunden. De Goederen ist ein bekannter Buchhändler in Bad Ischl und versteht sich als eine Art „Komplettanbieter […] für Leute, die Kultur interessiert sind” (De Goederen 2024: 2:05). Seine Buchhandlung, die Kurdirektion, ist auch ein Buchverlag, ein Musik Label und fungiert als Bühne, auf der zwei bis vier Events in der Woche stattfinden. Diese reichen von Vorträgen über Lesungen bis hin zu Konzerten verschiedenster Genres. Obwohl Alexander De Goederen ein engagierter Kulturakteur innerhalb des lokalen Kulturgeschehens ist, nimmt er nicht aktiv an der Gestaltung und Umsetzung der KHS teil. Im Interview teilte er mir mit, dass dies auf eine misslungene Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung der KHS zurückzuführen sei, nachdem es einen Wechsel der Intendanz gegeben hatte. Alexander de Goederen meinte diesbezüglich:
„ Die Kulturhauptstadt oder die Frau Schweeger als Person hat eigentlich nicht begriffen was wir sind oder was wir hier tun. Wir sind ja mittlerweile der größte Kulturanbieter im ganzen Salzkammergut. Und jegliche Form der Zusammenarbeit wurde von ihr eigentlich von vornherein als Einmischung verstanden. Beziehungsweise, werden wir ja ganz offen als Feind tituliert. Da kann man dann nicht viel ausrichten” (De Goederen 2024: 9:17).
Mehr noch sei das Projekt Das weiße Rössl von Lauffen ursprünglich seine Idee gewesen, es wurde jedoch als Programmpunkt abgelehnt. Das Projekt wurde trotzdem in den Projekt-Kanon der KHS aufgenommen, nur, dass er nicht als Urheber der Idee vermerkt wurde. Aber „Ideenklau” (De Goederen 2024: 12:15), teilte er mir ganz gelassen mit, sei ja „in der Kunst art of the state” (ebd.: 12:15). Diese Umformulierung des Sprichwortes ‚State of the art’ kritisiert die Aneignung geistigen Eigentums durch den ‚State’, hier die Geschäftsführung der KHS. De Goederen präsentiert sich ausgeschlossen von der Programmgestaltung der KHS. Dabei adressiert er strukturelle Machtverhältnisse, die sich als ein Gefälle von ‚oben‘ – der Geschäftsführung – nach ‚unten‘ – den lokalen Akteur:innen – zu konstituieren scheinen (vgl. De Goerden 2024: 00:00 – 31:35).

Ein ähnliches Versäumnis beklagte die Künstlerin Catherine Ebser, eine Stimme von ‚innen’, mir gegenüber. Seitens der Geschäftsführung der KHS habe es keinerlei Bemühungen zur Einbindung der Kunstschaffenden vor Ort gegeben. Sie selbst war mit einem Fotoprojekt zum Altern [Kachel Nr. 18] eingebunden. Da ihr Projekt die Aufwertung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Senior:innen anstrebt, hätte ihre Arbeit sehr gut mit der von Elizabeth Baum – Breuer – „Mein Kleiderkasten – Weibliche Lebensfreude bis ins hohe Alter” zusammengepasst, so Ebser im Interview. In einem späteren Austausch über Email, bemängelte sie allgemein das Fehlen eines „breiten Miteinanders“ (Ebser, Email, 16.10.2024). Ähnlich äußerte sich De Goederen in einem Interview mit dem Journalisten Wolfgang Paterno der Zeitschrift Profil: „Man kann nicht kooperieren, wenn man nicht miteinander redet. Auf E-Mails wird nicht geantwortet, aus dem Postgebäude nebenan dringt wenig raus” (Paterno 2023, online).
Wilhelm Engl (Willy) ein in Bad-Ischl geborener Kunst- und Kulturschaffender, Moderator zweier Shows des Freien Radio Salzkammergut und Mitglied einer Country- wie auch einer Rock-Pop-Band, beklagte im Interview, dass die KHS es versäumt hätte, eine politische Stellungnahme zu bestehenden Spannungsfeldern in Europa einzunehmen. In den Bewerbungsunterlagen der EU, wird gefordert, dass die KHS eine deutliche „europäische Dimension“ (EU-Kommission o.D., online) aufzuzeigen hat. Die „europäische Dimension“ und damit auch aktuelle europapolitische Themen soll sich durch das ganze Programm ziehen, damit die KHS einen internationalen Charakter hat (ebd.).
Schwerwiegende und aktuelle politische Themen in Europa hätten auf der internationalen Plattform, welche die KHS bietet, unbedingt adressiert werden müssen, äußerte sich Alexander De Goederen. Wie Willy sieht er diese Auslassung als verpasste Chance und Versäumnis, die „europäische Dimension“ (EU-Kommission o.D., online) innerhalb des Programms sichtbar werden zu lassen. Ein Blick in die Entstehung der KHS widerlegt diese Kritik teilweise. Bereits 2022, während dem second monitoring meeting erkundigten delegierte der EU-Kommission sich darüber, ob das KHS-Team, angesichts des „Russian war of aggression against Ukraine“ (ECOC Expert Panel 2022, online), Pläne aufzeigen könnte, ukrainische Künstler:innen in das Programm zu integrieren. Die Jury bewertete die Entwicklung des KHS-Projektes insbesondere im Hinblick auf „gegenwärtige […] Herausforderungen, wie dem Ukrainekonflikt“ (KHS 2024, online) als positiv. Gleichwohl sind politische Themen, wie Willy und De Goederen kritisieren nur marginal vertreten. Vorzug scheint die Integration von namenhaften Künstler:innen gegenüber inhaltlichen Schwerpunkten der Projekte gehabt zu haben. Laut einem Artikel der TAZ sind Problematiken „wie Rechtsruck, Flucht oder der Krieg in der Ukraine […] eher spärlich vertreten.“ (Bayer 2024, online), stattdessen konzentriert sich das Programm auf andere politische Themen, darunter die NS-Vergangenheit [Kachel Nr. 2], Klimawandel und Feminismus [Kachel Nr. 17] (vgl. ebd. 2024, online).
In einem von mir initiierten E-Mailaustausch, einige Monate nach meinem Feldaufenthalt im Juni 2024, teilte Ebser mir mit, dass sich ihr aus privaten Gesprächen mit den Leuten in Bad-Ischl, wie auch touristischen Besucher:innen, erschlossen hätte, dass viele der angebotenen Projekte nicht eingängig seien. Statt einem regionalen Miteinander würden viele Projekte so wirken, also wolle man sie „unbedingt durchpeitschen” (Ebser 2024, Email, 16.10.2024). Außerdem bestünde vor Ort ein großes Unbehagen darüber, dass nicht mehr lokale Künstler:innen zum Zuge kommen seien. In einem Interview mit Puls 24 äußert Hannes Heide, ehemaliger Bürgermeister von Bad Ischl und Abgeordneter im Europäischen Parlament, dass er dies mit “einem lachenden und einem weinenden Auge” (Huber-Lang 2023, online) sehen würde:
„Wenn wir 1.000 Einreichungen hatten, zeigt es, wie viele Menschen bereit sind, das Salzkammergut neu zu denken. Nur hat das halt auch ein entsprechend großes Enttäuschungspotenzial. Viel davon muss aber nicht unbedingt ins Kulturhauptstadtprogramm und kann auch später stattfinden. Darum müssen wir uns kümmern” (Huber-Lang 2023, online).
Offensichtlich waren viele Menschen in der Region bereit, sich bei KHS-Veranstaltungen einzubringen und aktiv an der Umgestaltung des Salzkammerguts zu beteiligen. Allerdings musste die KHS als EU-Projekt internationale Ansprüche im Rahmen der „europäischen Dimension“ (EU-Kommission o.D., online) erfüllen und auch ausländische Künstler:innen in das Programm aufnehmen (vgl. ebd. o.D., online).
Dies führt zum nächsten von Alexander De Goederen geäußerten Kritikpunkt. Sehr skeptisch beurteilt er die angestrebte zukünftige Veränderung im Kultursektor der Region. Er selbst bezweifelt, dass es Initiativen geben wird, die nach dem Veranstaltungsjahr noch weiter gefördert werden. Im Bidbook wurde ein „Offenes Cultur Centrum” (KHS SKGT 2024: 13) für Bad-Ischl versprochen, „bislang fehlt davon aber noch jede Spur” (De Goederen 2024: 18:39). Im Interview beklagte auch Willy, dass die Kurdirektion nicht eingebunden wurde. Er befürchtet, dass wenn die bestehenden Strukturen nicht gefördert würden, dies ein falsches Signal an die regionale Kulturszene sende und nachhaltiger Ausbau weniger greifbar sei. Auch das Lehar-Theater war während meines Aufenthalts im Juni noch nicht in der Form bespielbar, wie es in dem Bidbook angekündigt wurde. De Goederen zeigt sich enttäuscht darüber, dass das Lehar-Theater nicht wie versprochen saniert wurde und einer „Ruine” (De Goederen 2024: 17:32) gleichen würde. Immerhin wurde das Theater trotz seines bedürftigen Zustandes im Rahmen der KHS provisorisch bespielt (vgl. Huber-Lang 2024, online), und Ines Schiller, die lokale Bürgermeisterin, verspricht, dass die Sanierung nach Abschluss des Veranstaltungsjahres in Angriff genommen würde (vgl. Wimmer 2023, online).
Alternative Initiativen zur KHS
Einen letzten Akteur von ‚halb-innen‘ und seine Kritik an der KHS möchte ich noch zu Wort kommen lassen. Jörg Hoffman ist Artdirektor bei der Design- und Kommunikationsagentur Traktor 41 die ihren Sitz in Gosau im Salzkammergut hat. In einem Interview mit dem Profil-Journalisten Wolfgang Paterno beklagte Hoffman:
„Die Kulturhauptstadt ist ein Kunstfestival. Natur, Alltagskultur und die soziografische Einmaligkeit des Salzkammerguts fallen leider unter den Tisch. Die Jahrhundertchance, eine kulturell gewachsene Region in ihrer Gesamtheit vorzustellen und weiterzuentwickeln, wird vertan” (Paterno, 2023).
Hoffman, dessen Stimme als ‚halb-innen’ zu verorten ist, hat eine alternative Organisation zur KHS-Initiative gegründet: Soizkaumabessa [Salz kann man besser]. Im Gespräch mit dem Sender STV1 Bad Ischl erklärt er, dass dies keine Gegenbewegung zum Kulturhauptstadtevent sei, sondern eine Alternative. Dabei gehe der Begriff ,Alternative’ auf das Lateinische ,alter’ zurück, was so viel wie „Veränderung oder etwas ändern” (Hoffman 2022: 2:15, online) bedeutet; das englische Wort ‚native’ wiederum meine die „Einheimischen, die Urbevölkerung” (ebd.: 2:25). Auf der Webseite der alternativen Initiative steht, dass sich unter ihrem Dach heimische Gastronomiebetriebe, die Hotellerie, die Wirtschaft und heimische Künstler:innen darum bemühen, alternative Programme anzubieten, die als Ergänzung zur KHS fungieren. Hoffman will darauf aufmerksam machen, dass die Region kulturell sehr viel zu bieten habe und man die KHS seiner Meinung nach mit zu vielen großen Namen und Inszenierungen aufgehübscht hätte (vgl. Paterno 2023, online). Damit bestätigt auch Hoffman die Kritik von Ebser – der die „durchgepeitschten“ (Ebser, Email, 16.10.2024) Projekte beklagte.
Fazit
Mit diesem Stimmungsbild möchte ich drauf aufmerksam machen, dass Großprojekte wie die KHS vielfältige Konflikte zum Vorschein bringen. Im Fall der KHS Bad Ischl Salzkammergut 2024 adressierten diese Konflikte eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen Planung und Umsetzung, mangelnde Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und zwischen den Projekten, die als unzureichend empfundene regionale Einbindung und teils versäumte Chancen, sichtbare und eingängige Statements zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen zu setzen. In Gesprächen mit lokalen Akteur:innen von ‚innen‘ und ‚halb-innen‘ wurde deutlich, dass das vorgeschlagene Programm von einigen als von oben herab diktiert empfunden wurde.
Der Titel Kulturhauptstadt erhebt den Anspruch eine Brücke zwischen lokal und regionalen sowie zwischen europäisch und internationalen Ansprüchen zu schlagen. Wie sich herausstellte, ein nur schwer umzusetzender Balanceakt.
Literatur & Quellen
Bayer, Florian (2024): Viel Pfeffer im Salzkammergut, [online], https://taz.de/Kulturhauptstadt-Europas-2024/!5988054/ [03.12.2024].
ECOC Expert Panel (2022): Bad Ischl – European Capital of Culture 2024 – Second Monitoring Meeting – Report by the ECOC Expert Panel, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/wp- content/uploads/2022/11/kulturhauptstadt-salzkammergut-second-monitoring-report-July-2022.pdf [03.12.2024].
Europäische Kommission. (2020): Leitfaden für Städte, die sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ bewerben möchten. Veröffentlicht von der Generaldirektion Bildung und Kultur.
Hoffman, Jörg (2022): Im Interview mit STV1 Bad-Ischl Regionalfernsehen, [online], https://www.youtube.com/watch?v=PcbSplSdBeo [03.12.2024].
Huber-Lang, Wolfgang (2023): Kulturhauptstadt 2024: “Kein Feuerwerk, sondern Startschuss”, [online], https://www.puls24.at/news/entertainment/kulturhauptstadt-2024-kein-feuerwerk-sondern- startschuss/297682 [18.11.2024].
Huber-Lang, Wolfgang (2024): Mayröcker und Zweig sorgten für Leben im alten Lehár-Theater, [online], https://www.puls24.at/news/entertainment/mayroecker-und-zweig-sorgten-fuer-leben-im- alten-lehar-theater/358084 [30.11.2024].
KHS SKGT 2024 (2020): Publikationen: Bewerbungsbuch Endauswahl (Bidbook) – Bad Ischl- SKGT24 Kulturhauptstadt Europas [online], https://www.salzkammergut-2024.at/wp-content/
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KHS SKGT 2024 (2022): Publikationen: Antwort der europäischen Expert*innen-Jury auf den Monitoring Report von 2022, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/publikationen/ [03.12.2024].
Paterno, Wolfgang (2023): Streitereien im Salzkammergut: Eine Rundreise durch die Kulturhauptstadt 2024, [online], https://www.profil.at/kultur/streitereien-im-salzkammergut-eine-rundreise-durch-die- kulturhauptstadt-2024/402441255 [18.11.2024].
Wimmer, Katharina (2023): Kauf des Lehár Theaters zum fünften Mal beschlossen, [online], https://www.tips.at/nachrichten/gmunden/wirtschaft-politik/592629-kauf-des-lehar-theaters-zum-fuenften- mal-beschlossen [30.11.2024].
De Goederen, Alexander 28.06.2024, 00:00-31:35.
Ebser, Catherine 16.10.2024, E-Mail Austausch.
Ebser, Catherine 27.06.2024, 00:00-44:29.
Engl, Wilhelm 28.06.2024, 00:00-36:32.