Wie Konzept und Umsetzung der Kulturhauptstadt in Kritik stehen
Die Ausrichtung eines Großevents wie das europäische Kulturhauptstadtjahr bietet viele Gelegenheiten zur Kritik und großes Konfliktpotential. Mitarbeitende kritisieren die (finanziellen) Vorgaben, die lokale Bevölkerung kritisiert ihren Grad der Beteiligung, und Medien kritisieren die Umsetzung. In diesem Beitrag befasse ich mich mit der Frage, inwiefern und aus welchen Gründen Mitarbeitende, die lokale Bevölkerung, und am Projekt Unbeteiligte das Konzept und die Umsetzung der EU-Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 kritisieren.
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„Offen und anders aufs Salzkammergut zu schauen; gleichzeitig aber auch die Traditionen der Region hochleben zu lassen, die dunklen Winkel zu beleuchten, aber auch die strahlende Pracht der Gegend zu feiern: All das hat sich die Kulturhauptstadt vorgenommen. […] Was jetzt schon zu spüren ist: Es weht ein frischer Wind durchs Salzkammergut“ (kulturMontag 2024: 00:46:35).
„Kulturhauptstadt 2024: ‚Voller Erfolg‘ zur Halbzeit“ (Steiermark ORF.at 2024: online), titelt der öffentlich-rechtliche Regionalsender der Steiermark anlässlich des EU-Preises. Mediale Beiträge wie diese loben das Programm oder die Umsetzung des Kulturhauptstadtjahres – jedoch nicht alle. Die Onlineausgabe der Wiener Wochenzeitung Falter beispielsweise schreibt: „Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl: Die Synthese von Eigensinn und Ambition“ (Dusini 2024: online) und die Kritik am sogenannten Pudertanz während der Eröffnungsfeierlichkeiten in Bad Ischl scheint kein Ende zu finden. Das Zitat des Falter kritisiert einerseits ein rücksichtsloses Vorgehen („Eigensinn“ – Dusini 2024: online) und lobt andererseits motivierte Ziele („Ambition“ – Dusini 2024: online). In diesem Essay setze ich mich mit verschiedenen Formen von Kritik auseinander: Wer kritisiert die Umsetzung oder das Konzept der Kulturhauptstadt warum?
Österreich trug bereits zwei weitere Kulturhauptstadtjahre aus, Graz 2003 und Linz 2009. Während Linz etwa 70 Millionen Euro für das Kulturprogramm zur Verfügung hatte, stehen heuer deutlich geringere finanzielle Mittel für das Salzkammergut zur Verfügung – zirka 26,8 Millionen Euro, etwas mehr als ein Drittel des Linzer Budgets. Dies wird von Mitarbeiter:innen des Kulturhauptstadtbüros kritisiert. Neben der Kritik von innen, wie beispielsweise der eben geäußerten, gibt es zwei weitere Richtungen der Kritik: von partiell-innen und von außen.
Innen
Kritik von innen äußern Menschen, die an der Kulturhauptstadtwerdung der Region beteiligt sind, beispielsweise im Kulturhauptstadtbüro arbeitend, diejenigen, die selbst im Zuge des Kulturhauptstadtjahres Kultur schaffen, wie beispielweise die Choreografin des Pudertanzes oder die Künstlerin hinter feministischen Sprüchen auf Baustellen, oder anderweitig beteiligt sind. Darunter fällt die eben genannte Kritik an den geringen finanziellen Mittel. Während eines Interviews erklärten Mitarbeitende des Kulturhauptstadtbüros ihren Handlungsspielraum und wie sie die zur Verfügung gestellten Gelder einsetzen dürfen: Zwar darf das Kulturhauptstadtbüro neue Events planen, aber keine bereits bestehenden Projekte finanzieren. Das gilt ebenso für die Infrastruktur: „materielle legacy“ (Interview vom 07.11.2023: 00:28:23) dürfe nur angestoßen werden, jedoch dürfen keine Ausgaben für anhaltende Infrastrukturmaßnahmen, beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel, getätigt werden. Während des Interviews schien immer wieder die Unzufriedenheit mit der Abhängigkeit von den politischen Entscheidungen der EU durch. Gleichzeitig zeigen sich bei der Kulturhauptstadtwerdung bestehende Probleme und Defizite, von denen eine Region betroffen ist. An das Kulturhauptstadtjahr gekoppelt ist die Erwartung, dass „[politische] Versäumnisse aus den letzten Jahrzehnten irgendwie durch Kunst und Kultur [gerichtet werden können]“ (Interview vom 07.11.2023: 00:05:15). Ihrem Selbstverständnis nach können die Verantwortlichen des Kulturhauptstadtbüros lediglich Impulse für die Zukunft setzen. Neues Konfliktpotenzial und bereits bestehende Konflikte bietet das Verhältnis zwischen den Kulturhauptstadt-Beteiligten und den Partiell-Beteiligten.
Halb-Innen
Damit komme ich zur zweiten Stoßrichtung der Kritik, jener von partiell-innen. Partiell-innen sind Personen, die peripher von der Kulturhauptstadtwerdung und -ausführung betroffen sind – beispielsweise Menschen, die im Salzkammergut oder auch in Österreich generell wohnen beziehungsweise gerne an der Ausführung beteiligt sein wollen. Ein zentraler Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass einzelne Bevölkerungsgruppen vor Ort sich nicht (ausreichend) eingebunden fühlen. Im Alltag begegneten uns diesbezüglich auf unserer Exkursion Eigenpositionierungen immer wieder: Bei einem informellen Gespräch beispielsweise antwortete ein Verkäufer in Hallstatt auf die Frage, wie er zur Kulturhauptstadt stehe, dass das Projekt ja nur Bad Ischl betreffe und nicht seine Gemeinde. Dabei ist Hallstatt eine der 23 Gemeinden, die 2024 die Kulturhauptstadt bilden. Etwa die Hälfte der Bilder zum Schlagwort ‚Salzkammergut‘ auf Google stammen aus Hallstatt. Der Bürgermeister Alexander Scheutz ist sogar „sehr stolz darauf, dass Hallstatt ein Teil dieser großen Gemeinschaft ist“ (Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH 2023: online).
Weitere Internetbilder zum Salzkammergut stammen aus St. Wolfgang, einer Gemeinde in Oberösterreich. Die Gemeinde hat sich dagegen entschieden, an dem Kulturhauptstadt-Projekt teilzunehmen und stellt keine der im Titel adressierten Gemeinden „23 für 24“ dar. Aber warum? Der Bürgermeister Franz Eisl begründet die Entscheidung mit dem 2024 stattfindenden „Wolfgangjahr“ – dem Jahr des 1100. Todestags des Namenspatrons der Gemeinde – das er „als eine Ergänzung zur Kulturhauptstadt [sieht]. […] Eine zweite Großveranstaltung wäre schwer möglich gewesen“ (Eisl nach Wimmer 2023: online). Neben der Gemeinde St. Wolfgang (Oberösterreich) entschlossen sich auch St. Gilgen und Strobl (Salzburg) nicht am Kulturhauptstadtjahr teilzunehmen – keine einzige Region in Salzburg, das geografisch auch teilweise zum Salzkammergut gehört, wirkt also an der Ausrichtung des Kulturhauptstadtjahres mit. Der Bürgermeister von Strobl, Joseph Weikinger, begründete die Entscheidung seiner Gemeinde folgendermaßen: „Das Konzept Kulturhauptstadt [widerspricht] unserer touristischen Werbelinie am Wolfgangsee. Wir wollten das Risiko nicht eingehen, eine jahrzentelang [sic!] aufgebaute Marke zu schädigen“ (Salzburg ORF.at 2019). Kritik an diesem Fazit äußerten die SPÖ-Ortsparteien, was die politische Bedeutung/Dimension der Kulturhauptstadt vor Augen führt.
Außen
Die dritte Kritik-Dimension, von außen, äußern am Kulturhauptstadt-Projekt unbeteiligte Menschen und Gruppen. Die Kritik betrifft das Konzept oder auch die konkrete Ausführung.Der deutsche Kulturwissenschaftler Daniel Habit beispielsweise kritisiert das Konzept, da die EU Kultur zur Machtausübung instrumentalisiert. Der performative Akt der Kulturhauptstadtwerdung schafft sich den gewünschten Gegenstand/Effekt: die Kultur Europas. Städte werden Habit zufolge zu Marken und erfahren den Druck der EU, ihre (hoch- beziehungsweise populär-)kulturelle Landschaft (Museen, Theater etc.) zu präsentieren. Davon versprechen sie sich ökonomischen Statuszuwachs:
„Bezugnehmend auf das […] Konzept des internal colonialism zeigt sich gerade im Bereich der Kulturpolitik, wie von Brüssel ausgehend durch Förderprogramme Einfluss auf periphere Regionen Europas genommen wird. Die bestehende Deutungshoheit der Nationalstaaten wird so durch neue Geldquellen zunehmend aufgeweicht, da besonders Projekte mit Symbolcharakter seitens der Union initiiert und unterstützt werden“ (Habit 2017: 59).
Die europäische Kulturhauptstadt wird auch im Salzkammergut/Bad Ischl auf mehreren Ebenen – von innen, partiell-innen und außen – kritisiert: Beteiligte und die Region(en) verhandelnd fortlaufend neu, was und für wen die Kulturhauptstadtwerdung und Kulturhauptstadt ein Gewinn ist und was sie kann und können soll. Aber so oder so ernten die Verantwortlichen regelmäßig – und zwar nicht nur im Salzkammergut – salzige Kritik.
Literatur & Quellen
Culture and Creativity (2024): Designated European Capitals of Culture, [online], https://culture.ec.europa.eu/policies/culture-in-cities-and-regions/designated-capitals-of-culture. [28.02.2024].
Der Standard (2024): Wirbel im Salzkammergut um nackten „Pudertanz“ und Helnwein-Kinder, in: DerStandard.at, [online], https://www.derstandard.at/story/3000000205844/wirbel-im-salzkammergut-um-nackten-pudertanz-und-helnwein-kinder [15.10.2024].
Dusini, Matthias (2024): Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl: Die Synthese von Eigensinn und Ambition, [online], https://www.falter.at/zeitung/20240416/europaeische-kulturhauptstadt-bad-ischl-die-synthese-von-eigensinn-und-ambition [26.09.2024].
Habit, Daniel (2017): Kulturhauptstädte in Osteuropa. Zugänge, Perspektiven und Spezifika, in: Drascek, Daniel (Hrsg.): Kulturvergleichende Perspektiven auf das östliche Europa. Fragestellungen, Forschungsansätze und Methoden. Regensburger Schriften zur Volkskunde/Vergleichenden Kulturwissenschaft, Band 29, Münster: Regensburger Verein für Volkskunde e.V., S. 55-74.
Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH (2023): KULTURHAUPTSTADT EUROPAS BAD ISCHL SALZKAMMERGUT 2024, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/wp-content/uploads/2024/01/Programmbuch-Salzkammergut-2024-v2.pdf. [28.02.2024].
kulturMontag (2024): Kulturhauptstadt 2024 – Bad Ischl & das Salzkammergut, [online], https://on.orf.at/video/14228992/kulturmontag-spezial-vom-03062024-kulturhauptstadt-2024-bad-ischl-das-salzkammergut-vom-03062024 [24.09.2024].
Salzburg ORF.at (2019): Salzburger Gemeinden gegen Kulturhauptstadt, [online], https://salzburg.orf.at/stories/3024139/ [29.02.2024].
Salzkammergut-2024 (2024): Salzkammergut-2024, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/. [28.02.2024].
Steiermark ORF.at (2024): Kulturhauptstadt 2024: „Voller Erfolg“ zur Halbzeit, [online], https://steiermark.orf.at/stories/3264581/ [26.09.2024].
Wimmer, Katharina (2023): Das Wolfgangjahr soll keine Gegenveranstaltung zur Kulturhauptstadt sein, [online], https://www.tips.at/nachrichten/gmunden/wirtschaft-politik/607290-das-wolfgangjahr-soll-keine-gegenveranstaltung-zur-kulturhauptstadt-sein [29.02.2024].
Abbildungsverzeichnis
Abbildung: Welche Gemeinde ist warum (nicht) dabei?, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/spielstaette/ [14.10.2024].