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Das Ende von Salz & Kaiser?

Im Kulturhauptstadtjahr 2024 finden über 150 Programmpunkte in der Region Salzkammergut-Bad Ischl statt, die viele Kunstprojekte und neue Impulse in die ausrichtenden ländlichen Gemeinden bringen und Diskussionen über Identität, Geschichte und Kultur der Region anstoßen. Mit einer Erweiterung des Kulturverständnisses soll sich das Salzkammergut auch in der Zukunft als Schauplatz für Kunst und Kultur etablieren.

Über Nachhaltigkeit und die Folgen der Kulturhauptstadt Bad Ischl für das Salzkammergut 2025 und danach

In meinem kulturellen Bewusstsein als Österreicher hatten Bad Ischl und das Salzkammergut bislang eine eindimensionale Konnotation: In Bad Ischl urlaubte der Kaiser, und im Salzkammergut quälten sich die Minenarbeiter:innen über die Jahrhunderte hinweg für unser aller Salz. Die Auszeichnung zur europäischen Kulturhauptstadt überraschte mich also, ist doch in Folge eine kulturelle Neuausrichtung der Region innerhalb Österreichs und Europas zu erwarten. Wer europäische Kulturhauptstadt wird, erhofft sich dadurch typischerweise eine Transformation mit dem Ziel der kulturellen Diversifizierung und Aufwertung der eigenen Stadt oder wie im Fall Bad Ischls der Region Salzkammergut, so der Kulturwissenschaftler Daniel Habit (Habit 2017: 64-65). In der Selbst- und Fremdinszenierung auf der Lokal- und Europabühne erhält die gekürte Kulturhauptstadt also die Möglichkeit, sich selbst mit ihrer Geschichte und Identität auseinanderzusetzen und sich durch das Setzen neuer Impulse neu zu positionieren.

Neue Impulse für die Region

Das Salzkammergut, das wie viele ländliche Regionen Europas von Leerstand, Geldnot. Abwanderung und touristischer Monokultur rund um die Themen Salz und Kaiser geprägt ist, will mit der Kulturhauptstadtwerdung ebendiesen Abwärtstrends entgegenwirken und unter dem Leitgedanken „Kultur ist das neue Salz“ nachwirkende Motivation und Inspiration zur Revitalisierung der Region hinterlassen. Die kulturelle Kluft zwischen Stadt und Land soll durch das Zusammenspiel von Künstler:innen aus der Region und aus internationalen Kontexten sowie durch den Dialog zwischen Künstler:innen und Lokalpublikum geschlossen werden, wie es das vielfältige Programm darlegt (Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH 2023). Nach 130 Projekten, über 220.000 Besucher:innen und durchwegs ausverkauften Aufführungen lässt sich schon nach der Halbzeit (Stand: 30. Juni 2024) eine erste Bilanz ziehen, welche neuen Perspektiven die Kulturhauptstadtwerdung in Bad Ischl eröffnet hat und welche Prognosen sich für die Zeit nach der Finissage am 30. November 2024 ergeben (APA 2024).
Dem Kulturhauptstadtbüro rund um die Intendantin Elisabeth Schweeger gelang es, seit der Eröffnung allerlei Reibungsflächen zu bieten. Mit Hubert von Goisern, Conchita Wurst und Tanzkünstlerin Doris Uhlich holte Schweeger drei Künstler:innen aus der Region zurück in ihre Heimat, die fernab davon Erfolg gefunden hatten. Besonders die Aufführung von Uhlich, die beim „Pudertanz“ verschiedenste nackte menschliche Körper auf der Bühne in Szene setzte, führte zu großer Irritation unter den Bewohner:innen des Salzkammerguts. Trotz aller Kritik produzierten die durch die Kulturhauptstadt evozierten Impulse ein neues gemeinde- und bundesländerübergreifendes Gemeinschaftsgefühl, das sich in der Wortneuschöpfung der Intendantin „Salzkammergütler:in“ ausdrücke, so resümiert zumindest Elisabeth Schweeger (Rathenböck 2024).

Nachhaltigkeit des Titels: Umnutzung und Kulturalisierung

Auch wenn die internationale mediale Aufmerksamkeit um die Eröffnung vonseiten Schweegers begrüßt wurde, stellt sich dem Kulturhauptstadtbüro die Herausforderung, das kulturelle Schaffen im Salzkammergut längerfristig anzukurbeln. 85% der geförderten Projekte sind in Kollaboration mit heimischen Künstler:innen und Vereinen entstanden, die extra für das Kulturhauptstadtjahr entwickelt wurden – gemäß EU-Richtlinien wurden bewusst keine bereits bestehenden Projekte gefördert, wie Christina Jaritsch vom Kulturhauptstadt-Team im Interview bestätigt (Jaritsch 2023, 34:45). Das vergleichsweise geringe Budget (30,8 Millionen Euro) hat die Kurator:innen gleichsam dazu angehalten, die lokalen Gegebenheiten und Personen besonders stark einzubinden, anstatt teure Projekte von außerhalb einzukaufen (Leibold 2024).
Als Initiative zur Nachhaltigkeit des Kulturhauptstadtjahrs ist auch die Nutzung von Leerständen wie dem Sudhaus und dem Lehartheater in Bad Ischl oder dem KunstQuartier in Gmunden zu verstehen, die als konkrete Ausstellungs- und Aufführungsorte bespielt wurden (Leibold 2024). Obgleich die Kulturhauptstadt die Räume nicht über 2024 hinaus kuratiert, stößt sie Ideen zu einer längerfristigen Umwidmung der zuvor leerstehenden Gebäude an und adressiert die zuständigen Gemeinden, dafür Platz in den kommenden Budgets ab 2025 zu schaffen (Jaritsch 2023, 32:00). Das als Ausstellungsraum umfunktionierte Sudhaus, eine stillgelegte Saline, steht symbolisch für die Perspektivenerweiterung der Identität der Salzkammergütler:innen. Es zeigt, dass der historische Salzabbau und seine stillgelegte Infrastruktur in der heutigen Zeit neu konnotiert werden können: Vielfältige künstlerische Bearbeitungen des Themas verdeutlichen die auch hier wirkende Kulturalisierung und Kommodifizierung regionaler Spezifika. Dieses neue Selbstverständnis des regionale Selbst wurde beispielsweise auch durch das Theaterprojekt von Thomas Görge gestärkt, der mit seinem Stück „Das Weiße Rössl von Lauffen“ einem vormals verhöhnten Ortsteil Bad Ischls eine neue Geschichte, einen neuen Referenzpunkt auch über das Kulturhauptstadtjahr hinaus zuschreibt (Leibold 2024).

Ansätze zur Transformation regionaler Identität

Bad Ischl verschafft sich durch die Kulturhauptstadtwerdung neue kulturelle Konnotationen außerhalb der Sommerfrische-Kaiserzeit von Franz Josef und Sisi. In der Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit etwa in einer imposanten Ausstellung zu in Stollen des Konzentrationslagers Ebensee versteckten NS-Kunstraubguts gelingt wiederum Reibung mit einem Kapitel Bad Ischler Stadtgeschichte, für das gerade Impulse von Außerhalb ungenierte Dialoge anstoßen können, so Intendantin Schweeger (APA 2024).
Im Folgeschluss stiegen auch die Nächtigungszahlen in der Nebensaison: Von Jänner bis April 2024 wurden 36% mehr Ankünfte und 21% mehr Nächtigungen in Bad Ischl festgestellt, die das Interesse an der Stadt auch außerhalb der Sommerfrische darlegen (Rathenböck 2024). Das ist ein erster Schritt, ein „Nährboden zum Qualitätstourismus“ womöglich, der jedoch nur mit der Schaffung einer längerfristigen kulturellen Infrastruktur gelingen wird, was derzeit noch sehr in der Schwebe ist (Leibold 2024). Hierbei betont Daniel Bernhardt, einheimischer Kulturschaffender und Leiter der Kulturvision Salzkammergut 2030, die Unabdingbarkeit, das Team der Kulturhauptstadt im Rahmen einer Nachfolgeorganisation an die Region zu binden. Nur so können sich das internationale Know-How und die neuen Netzwerke, die das Team in die Region gebracht hat, nachhaltig im Salzkammergut verankern und kann sich eine lebendige Kulturszene entwickeln (Bernhardt 2023, 08:22). Die Verantwortung hierbei obliegt den jeweiligen Gemeinden, die allerdings noch keine konkreten Finanzierungspläne publik gemacht haben (Jaritsch 2023, 32:10).

Bilanz

Wie nachhaltig der Anschub des Kulturhauptstadtjahrs tatsächlich sein wird, wird sich zeigen. Wie das Kulturhauptstadt-Team um Intendantin Schweeger erhoffe ich mir, dass einige der hunderten Impulse, Neuheiten und Irritationen in der Region dauernde Effekte zeigen. Diese Impulse – in Form von Laientheaterstücken, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen – begünstigen im Kulturhauptstadtjahr und potentiell darüber hinaus die Schaffung, Finanzierung und Präsentation neuer, eigenständiger Projekte. So eröffnet die Kulturhauptstadt zusätzlich zu den historischen Referenzpunkten von Salz und Kaiser neue kulturelle Identifikationspunkte im 21. Jahrhundert in Bad Ischl und im Salzkammergut .

Literatur und Quellen

APA (2024): Kulturhauptstadt Salzkammergut sieht „vollen Erfolg“ im ersten Halbjahr, [online], https://www.derstandard.at/story/3000000227910/kulturhauptstadt-salzkammergut-sieht-vollen-erfolg-im-ersten-halbjahr [11.12.2024].

Bernhardt, Daniel 2023, 00:00-26:38.[online – Zoom], [07.11.2023]

Habit, Daniel (2017): Kulturhauptstädte in Osteuropa. Zugänge, Perspektiven und Spezifika, in: Daniel Drascek (Hrsg.), Kulturvergleichende Perspektiven auf das östliche Europa. Fragestellungen, Forschungsansätze und Methoden, Bd. 29. Regensburg: Waxmann Verlag, 53-70.

Jaritsch, Christina 2023, 00:00-41:23. Interview gemeinsam mit Fiona Becker, Nina Eisendle, Karin Lamprecht. [ 07.11.2023]

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH (2023): Kultur salzt Europa [online], https://www.salzkammergut-2024.at/programmbuch/ [11.12.2024].

Leibold, Christoph (2024): Bilanz der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 [online], https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/nah-dran/gut-besser-bad-ischl-bilanz-der-europaeischen-kulturhauptstadt-2024_x-100.html [11.12.2024].

Rathenböck, Elisabeth (2024): 220.000 Besucher bei Kulturhauptstadt, [online], https://www.krone.at/3451336 [11.12.2024].