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Jodeln im Salzkammergut

Das Jodeln, eine jahrhundertealte Ausdrucksform, die der Verständigung in den Bergregionen der Alpen diente, erlebt im Rahmen der Kulturhauptstadt Bad Ischl-Salzkammergut 2024 eine Renaissance. Diese Wiederentdeckung und Neuinterpretation zeigen, dass Jodeln heute weit mehr ist als eine lokal gebundene Gesangsart der Alpenbewohner:innen. Im Rahmen der Kulturhauptstadt kann das Jodeln nicht nur als künstlerische Ausdrucksform verstanden werden, sondern auch als eine Art Brücke zwischen verschiedenen Kulturen, die Tradition und Moderne verbindet und zur Plattform für Begegnung und Dialog wird.

Einblicke in das Salzkammergut und die Kulturhauptstadt 2024

Durch Filmklassiker wie das Musical The Sound of Music (Uraufführung: 16. November 1959) hat das Jodeln internationale Bekanntheit erlangt und ist zu einem Symbol für den Alpenraum und das dortige Leben geworden. Besonders die Filmszene, in der Julie Andrews und ihre Filmfamilie, der Baron von Trapp und seine Kinder, eine Jodel-Nummer darbieten, hat zur Popularität des Jodelns geführt. Von Salzburg aus werden eigene Sound of Music-Erlebnistouren ins Salzkammergut angeboten, die Fans des Kultfilms zu den berühmten Drehorten führen. Die Inszenierung einer schönen, heilen Welt in der Natur, die mit dem Jodeln transportiert wird, stößt auf anhaltendes Interesse.

In der Werbung und in den sozialen Medien wird das Jodeln oft als klangvoller Ausdruck von Naturverbundenheit und Authentizität in Verbindung mit Bergpanorama, Bergluft und Tracht eingesetzt. So hat der Schweizer Kanton Wallis mit der Jodelversion von Ma Chérie des Schweizers DJ Antoine für den Kanton geworben, aber auch auf Youtube und Tiktok ist das Jodeln angekommen, wo der Südkoreaner Sancherry Park 2023 mit seinem Jodler viral ging. Diese mediale Verbreitung hat dazu beigetragen, dass das Jodeln über die Bergregionen hinaus bekannt wurde.

Steinbock (Foto © Susanne Stöckli / Pixabay)

Touristisch vermarktete Tradition

Im Zeitalter des Massentourismus erlangen Traditionen wie das Jodeln für Tourist:innen eine besondere Attraktivität als regionstypische konstruierte Authentizität‘ (Kirshenblatt-Gimblett 1995). Der Anthropologin Barbara Kirshenblatt-Gimblett zufolge (ebd.: 370) kann kulturelles Erbe nicht als etwas betrachtet werden, das verloren und wiedergefunden oder gestohlen und zurückgefordert, sondern fortlaufend produziert wird. Es handelt sich um eine Form der kulturellen Produktion, die auf die Vergangenheit zurückgreift und sich in der Gegenwart vollzieht (ebd.: 370). Dabei werden vermeintliche Traditionen für ein touristisches Publikum angepasst. Dies ist beispielsweise bei Kulturveranstaltungen wie der Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt 2024 der Fall, bei denen traditionelle Praktiken des Jodelns in einer modernen Umgebung neu interpretiert und für ein internationales Publikum zugänglich gemacht werden.

Die Kulturerbe‘-Industrie inszeniert das Jodeln zudem als scheinbar authentisches Erlebnis. Der Ethnologe Burkhard Schnepel betrachtet Authentizität als „Ergebnis sozio-kultureller und politischer Prozesse der Authentifizierung“ (Schnepel 2013: 34), die bestimmten kulturellen Ausdrucksformen im Rahmen von Kultur- und/oder Tourismusprojekten zugeschrieben wird, um ein Gefühl von ‚Echtheit‘ zu vermitteln. Dabei steht Authentizität im Spannungsfeld zwischen anfänglichen Bedeutungen der kulturellen Praktiken und den Erwartungen der Tourist:innen, die oft eine romantisierte oder idealisierte Vorstellung von der ‚Kultur der Anderen‘ haben (vgl. Schnepel 2013: 28). Ähnlich wie ‚kulturelles Erbe‘ ist auch Authentizität laut Schnepel (ebd.: 33) nicht etwas bereits Vorhandenes, sondern entsteht durch Interaktionen zwischen diversen Akteur:innen, die eine bestimmte Interpretation oder Präsentation als ‚authentisch‘ wahrnehmen oder gestalten.

Geschichte des Jodelns

In früherer Zeit diente das Jodeln der Kommunikation und Unterhaltung. Es diente vor allem als Kommunikationsmittel zwischen Menschen, die sich auf Wanderschaft befanden (vgl. Fink-Mennel 2011: 169f) wie Träger:innen, Händler:innen oder Wehrpflichtige. Menschen nutzten das Jodeln zudem als Zeitvertreib oder Darbietung in den Gasthäusern, in denen sie übernachteten (ebd.: 170). Das ‚Wanderrepertoire‘ kann als eine Form der musikalischen Interaktion bezeichnet werden, die keine spezifische lokale Praxis erforderte, sondern vielmehr ein allgemein gebräuchliches Verhalten innerhalb dieser Gruppen darstellte (ebd.: S). Heutzutage wird das Jodeln in den Alpenregionen zunehmend in die zeitgenössische Musik integriert. Lieder wie Heast as net (1994) von Hubert von Goisern, österreichischer Musiker und Pionier der so genannten Alpenrock-Bewegung, zeigen, wie traditionelle Jodler-Stile mit modernen Musikelementen bzw. Musikstilen kombiniert werden können. Die Coverversion von Heast as net (2017) durch Ina Regen und Conchita, die ebenfalls bei der Kulturhauptstadt 2024 mitwirkte, präsentiert eine zeitgenössische Interpretation des Jodlers.

@ConchitaWurst [youtube]

Jodeln im Kontext der Kulturhauptstadt

Die Eröffnung der Kulturhauptstadt 2024 erfolgte mit einer zeitgenössischen Jodler-Version von Hubert von Goisern. Dessen Jodler Hubert von Goisern und der Chor der 1000 begann mit dem Läuten der Bad Ischler Kirchenglocken und verschmolz dann zum Jodler. In dieser in den Medien viel erwähnten Performance brachte Hubert von Goisern eigener Aussage nach Menschen unterschiedlichster Herkunft und Altersgruppen zusammen, um gemeinsam einen vielstimmigen Jodler anzustimmen (vgl. Von Goisern 2024: online). Er zeigte damit, wie der Jodler als Ausdruck regionaler Identität kontinuierlich neu interpretiert werden kann.

Derartige Einbettungen von traditionellen Elementen in große Kulturveranstaltungen, die touristisches Interesse an einem Kulturelement fördern, können laut Schnepel bei der einheimischen Bevölkerung zu einem gesteigerten Stolz auf die eigene Tradition, einem positiven Einfluss auf das Selbstbewusstsein sowie einer Neubewertung der eigenen Kultur, Geschichte und Landschaft führen (vgl. Schnepel 2013: 23).

Vermarktung des Jodelns

Nach Schnepel verdinglicht bzw. materialisiert sich ‚Kultur als Ware‘, um auf dem touristischen Markt relevant zu bleiben (vgl. Schnepel 2013: 29), was sich auch im Kontext der Kulturhauptstadt wiederfinden lässt. Für Ungeübte bzw. Unkundige werden im Salzkammergut auch außerhalb des Kulturhauptstadt-Programms Jodelkurse und Performances angeboten, die den Teilnehmenden die Möglichkeit bieten, das Jodeln zu erlernen. Die touristische Vermarktung von Jodelkursen führt dazu, dass das Jodeln nicht nur von Einheimischen, sondern auch von Fremden als kommerzialisiertes Erlebnis konsumiert wird. Dabei wird eine regionale Praxis zu einem touristischen Produkt, das das Jodeln für ein breites Publikum zugänglich macht. Besucher:innen der Kulturhauptstadt, die gerne selbst einmal das Jodeln ausprobieren wollten, konnten bei Anita Biebl, Jodellehrerin im Salzkammergut, einen Jodelkurs besuchen. Das Jodeln versteht sie als einen „Ruf der Seele“ und als eine Form des freien, ungehinderten Ausdrucks (Oberösterreich Tourismus o. D.: online). Die befreiende Wirkung des Jodelns, die Anita Biebl beschreibt, könnte also als eine Art kathartischer Moment aufgefasst werden, in dem die im Individuum aufgestauten inneren Spannungen und der Stress abgebaut werden.

In ihren Jodelkursen auf der Katrin, dem Hausberg von Bad Ischl, stellt Anita Biebl das Jodeln als ‚befreiende‘ und ‚gemeinschaftsstiftende‘ Praxis dar. Teilnehmende ohne musikalische Vorkenntnisse können ludisch die Technik und die Freude des Jodelns erlernen (Oberösterreich Tourismus o. D.: online). Biebl verbindet das Jodeln mit Atemübungen, Resonanzarbeit und sogar Beatboxing, um die Teilnehmenden zu ermutigen, sich frei und ohne Hemmungen auszudrücken (ebd.). Der Körper wird so zu einem Medium der kulturellen Teilnahme und des Ausdrucks.

Die Praxis des Jodelns kann von Teilnehmenden als eine Form der gemeinsamen emotionalen Erfahrung erlebt werden. Diese Erfahrung kann eine verbindende Wirkung haben und Menschen, die sich zuvor nicht kannten, zu einer Gruppe verbinden und gar ein Gefühl der Zusammengehörigkeit innerhalb der Gruppe entstehen lassen.

Biebl bietet das Jodeln auf dem Hausberg als eine Möglichkeit für Teilnehmende an, die Praktik als etwas gemeinschaftliches zu erleben, was zugleich Identität stiftend wirken und den gemeinschaftlichen Wert des Jodelns als kulturelle Ressource stärken soll. Der Hausberg wird dabei zu einer Kontaktzone (vgl. Schnepel 2013: 34), in der Einheimischen und Tourist:innen aktiv an der Inszenierung des Jodelns teilnehmen.

@salzkammergut2024 [youtube]

Transformation von Tradition: Das Volxfest

Im Rahmen des Volxfestes, eines dreiteiligen Festivals der Kulturhauptstadt 2024, versuchten die Veranstalter:innen dem Jodeln eine neue Bedeutung zu geben. Der Jodel wurde dabei als zentrales Element in eine ‚holistische‘ Vision der ‚kulturellen Vielfalt‘ integriert. Wie die Kulturanthropologin Regina Bendix (Bendix 2013: 61f.) darlegt, erfahren Kulturgüter, sofern sie in den Tourismus integriert werden, eine Aufwertung, die sich in ökonomischer, sozialer und ideeller Hinsicht manifestiert. Veranstaltungen bieten Kulturträger:innen die Möglichkeit, ihre Traditionen bewusst zu pflegen und weiterzugeben (vgl. ebd.: 63). So geschah dies auch beim Volxfest.

Die Kulturhauptstadt-Initiative sowie Events wie das Volxfest bewirken eine Aufwertung kultureller Güter des Salzkammerguts und eröffnen sowohl den Einheimischen als auch Tourist:innen Zugänge zur lokalen Kultur. Das Volxfest umfasste die Module Eindidrahn, Aufdrahn und Außidrahn, denen folgend ein dreiteiliges Fest gefeiert wurde. Die Begriffe beziehen sich auf spezifische Tanzbewegungen oder -figuren, die in der Tanzmusik von Kreis- oder Reihen- und Paartänzen verwendet werden. Eindidrahn bedeutet beispielweise, dass sich die Tanzenden in eine Richtung bewegen, indem sie sich gegenseitig oder mit ihrem Tanzpartner:innen in den Kreis oder die Linie hinein bewegen. Das Volxfest hatte zum Ziel, unterschiedliche kulturelle Praktiken wie Gesang, Musik, Tanz und Brauchtum miteinander zu verbinden. Das Zusammenführen von Musik- und Tanzstilen aus verschiedenen Kulturhauptstädten Europas (Salzkammergut, Bodø und Tartu) im Rahmen des Volxfests schuf eine ‚Kontaktzone‘, in der sich Einheimische und internationale Künstler:innen begegneten.

Das Projekt war vielschichtig partizipativ angelegt und bestand aus verschiedenen Events. Den Veranstalter:innen sowie den Besucher:innen bot sich dabei die Möglichkeit, Traditionen in einer neuen Form zu erleben. Anspruch des Volxfestes war es, europäische Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Feiern zu thematisieren und erfahrbar zu machen (vgl. Projektübersicht Kulturhauptstadt). Das Ziel des Volxfests bestand in der Schaffung eines ‚Mosaiks vielfältiger Zugehörigkeiten‘, das zu einer offenen und kreativen Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff anregen sollte (ebd.).

Die Kombination aus geplanten Choreografien und spontanen Ausdrucksformen des Feierns beim Volxfest führte zur Förderung einer Kultur des Miteinanders sowie zu einer ‚heritage in the making‘. Letztere bezeichnet die fortlaufende Neuverhandlung und Kreation kulturellen Erbes. Die partizipative Struktur des Volxfests kann als Beispiel für die sogenannte ‚Future of Folkart‘ betrachtet werden (vgl. Österreichisches Volksliedwerk 2024: online), die auf bestehenden Traditionen aufbaut, diese jedoch zugleich in zeitgenössische Kontexte einbindet und dadurch neue Bedeutungen und Perspektiven schafft. Das Österreichische Volksliedwerk verfolgt die genannte Strategie ‚The Future of Folk Art‘  als eine vielschichtige, interaktive und partizipative Initiative, die die Grenzen zwischen Tradition und Experiment überschreitet und einen Raum für die Erforschung und Erneuerung volkstümlicher Kunstformen wie das Jodeln bietet.

Ausblick

Im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024 wurde das Jodeln als touristisches Produkt inszeniert, um ein Bild des Salzkammerguts als traditionsreiche und heimatverbundene Region zu vermitteln. Darüber hinaus kann das Jodeln aber auch als Instrument zur Überbrückung kultureller Unterschiede und zur Förderung einer offenen, pluralistischen Gesellschaft fungieren, zumal der Jodel  ohne Text auskommt und Silben und Lautfolgen wie „jo“, „ju“ oder „ho“ verwendet, die keine konkrete Bedeutung haben, aber melodisch sind.

Hallstatt (Foto © B. Cortes-Lehner)

So wird das Jodeln im Salzkammergut inzwischen nicht nur als traditionsreiche Ausdrucksform der alpinen Kultur präsentiert, sondern auch als dynamisches Element der kulturellen Begegnung und Identitätsbildung. Die Kulturhauptstadt Bad Ischl-Salzkammergut 2024 bot dem Jodelndurch innovative Inszenierungen und zeitgenössische Interpretationen eine neue Bühne. Auf dieser kann sich das Jodeln in einer partizipativen Umgebung  als Medium erweisen, das nicht nur identitätsstiftend wirkt, sondern auch als Impulsgeber für interkulturellen Austausch und gemeinschaftliche Erfahrungen dient.

Literatur und Quellen

Bendix, Regina (2013). Dynamiken der In-Wertsetzung von Kultur(erbe) Akteure und Kontexte im Lauf eines Jahrhunderts, in: Schnepel, Burkhard/ Girke, Felix/ Knoll, Eva-Maria (Hrsg.) (2013). Kultur all inclusive: Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus. Bielefeld: transcript Verlag.

Fink-Mennel, Evelyn (2011). The yodel in the German-speaking areas of the European Alps with a special focus on the behaviour of the parts in Austrian yodelling. In: Ahmedaja, Ardian (Hrsg.), European Voices II. Cultural Listening and Local Discourse in Multipart Singing Traditions in Europe (S. 165–184). Wien: Böhlau Verlag.

Kirshenblatt-Gimblett, Barbara (1995). Theorizing Heritage. Ethnomusicology, 39(3), 367–380. https://doi.org/10.2307/924627

Oberösterreich Tourismus GmbH (o.D.). Jodeln mit Anita auf der Katrin [online].

Österreichisches Volksliedwerk. (2024, 25. Oktober). VOLXFEST – die Kunst und Kraft des Feierns! Volksmusik (Er)Leben. https://volksliedwerk.at/2023/10/12/volxfest-die-kunst-und-kraft-des-feierns/

Schnepel, Burkhard (2013). Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus. Eine programmatische Einführung. In: Schnepel, Burkhard/ Girke, Felix/ Knoll, Eva-Maria (Hrsg.) (2013). Kultur all inclusive: Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus. Bielefeld: transcript Verlag.

Von Goisern, Hubert (2024). Hubert von Goisern und die Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024. Hubert von Goisern. https://hubertvongoisern.com/salzkammergut2024/eroeffnung.html [28.10.2024].