Theresia Pesendorfers Mut bringt Unrecht zur Sichtbarkeit
Widerstand zu leisten war für Theresia Pesendorfer kein Anlass zur Selbstheroisierung, dennoch haben die Selbstinszenierungen ihrer männlichen Mitstreiter und Versteckten, die Taten der mutigen Frau fast vergessen lassen. Couragiert sein, zu helfen und gegen Ungerechtigkeiten aufzutreten, waren alltägliche Aufgaben der Aktivistin, welche in Lauffen bei Bad Ischl geboren wurde. Der folgende Beitrag streicht heraus, wie wichtig die Sichtbarmachung und das Erinnern an Kämpferinnen wie Theresia Pesendorfer gerade heute ist.
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Männer sind in der Geschichte Bad Ischls und des Salzkammerguts allgegenwärtig. Am 28. Juli 1914 unterzeichnete Kaiser Franz Josef I. die Kriegserklärung an Serbien in Bad Ischl (vgl. Stadtgemeinde Bad Ischl 2024: online). Breit rezipiert ist auch das Wirken Anton Bruckners, Johann Nestroys und Johannes Brahms in der Kurstadt (vgl. Ischler Heimatverein 2024: online). Historische Erzählungen übermitteln eine männliche Dominanz.
Frauen spielen in historischen Dokumenten selten eine wichtige Rolle. Selbst der Tourismusverband Bad Ischl, der Themenführungen unter anderem mit Frauenschwerpunkt anbietet, wirbt mit weiblichen Verwandten des Kaisers oder Sophie Lehár, der Frau des ortsansässigen Komponisten. Auffallend ist, dass Recherchen wiederholt zu ‚Frauen von‘ führen, selten aber die Frau selbst oder ihr Tun im Fokus steht. Doch mit Blick auf den 2. Weltkrieg wird klar, dass die überwiegend männliche Repräsentation im Alltag des Salzkammerguts Frauen unerwähnt lässt.
Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist Theresia Pesendorfer. Als Widerstandskämpferin gegen den Austrofaschismus und Nationalsozialismus übernahm sie ausgehend von ihrem politischen Engagement in der kommunistischen Partei die zentrale Rolle innerhalb der Widerstandsbewegung Willy-Fred (vgl. Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024). Da die Männer entweder an der Front kämpfen mussten, in Arbeitslagern oder Gefängnissen festgehalten wurden oder sich in den Bergen versteckten, war der Einsatz Theresia Pesendorfers und ihrer Unterstützerinnen essenziell, um deren Überleben zu sichern.
1937 gründete die Aktivistin das erste dokumentierte Frauennetzwerk des Salzkammerguts, das zu diesem Zeitpunkt als illegal eingestuft wurde und retrospektiv daher als mehrfach mutig einzuordnen ist (vgl. Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024). Innerhalb dieses Netzwerks verbreitete sie den Widerstandsgedanken unter den verbliebenen Frauen weiter, befreite Widerstandskämpfer aus der Gefangenschaft und versorgte Versteckte in den Bergen mit Lebensmitteln und notwendigen Informationen. Damit riskierte sie ihr Leben. Auskunft zu bekommen, war für die Untergetauchten oft ein überlebensnotwendiger Faktor. Deshalb leistete Theresia Pesendorfer „Kurierdienste, dabei war sie stundenlang zu Fuß, aber auch mit dem Fahrrad unterwegs“ (Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024).
Als „Fluchthelferin“ (Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024) kam sie sich oft „wie so ein Nachtfalter […] vor“ (Karbus 2021: 66). Neben der Zivilcourage, dem Mut und dem Willen, gemeinsam das Richtige zu tun, habe sie von bestehenden Stereotypen profitiert. Als Frau sei sie als „viel zu blöd, als dass sie politisch illegal arbeiten kann“ (Karbus 2021: 19) abgestempelt und unterschätzt worden. Anstatt aufzugeben, habe sie bei sich gedacht „lieber blöd ausschaun und schlau bei der Arbeit als umgekehrt“ (Karbus 2021: 19).
Trotz der vielen geretteten Leben stellte die Aktivistin ihre Taten nach Ende des Krieges nicht in den Mittelpunkt. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, welche sich als Überlebende und Teil der Widerstandsgruppe Willy-Fred als Helden inszenierten, blieb sie im Hintergrund. Getreu diesem Motto „Schweigen oder wenig reden ist besser, als zu viel zu sagen“ (Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024) fasst die Historikerin Nina Höllinger das Leben der Widerstandskämpferin zusammen. Dieses Zitat wiederum wirft die Frage auf: War die Bescheidenheit tatsächlich eine Tugend Pesendorfers oder wird das Wirken von Frauen schlichtweg unsichtbar gemacht?
Die Historikerin Eva Labouvie ist der Meinung „Frauen haben Geschichte gemacht, aber keine geschrieben“ (Perl 2020: online). Diese Aussage schlägt sich deutlich in der gegenwärtigen schulischen Ausbildung nieder. Nicht jedoch, weil Frauen nicht relevant gewesen seien oder wie Theresia Pesendorfer Lebensnotwendiges geleistet hätten, ihre Taten werden in grundlegender Unterrichtsliteratur ausgelassen oder durch prominentere männliche Beispiele ersetzt. Männer haben über Jahrhunderte die patriarchalen Strukturen genährt und genutzt, um ihre Sicht der Geschehnisse festzuhalten (vgl. Die Zeit 2019: online).
Neubenennungen als Zeichen der Wertschätzung
Bis in die Gegenwart lassen sich genderspezifische Ungleichheiten beobachten: Im wissenschaftlichen Kontext liegt die Zahl der weiblich gelesenen Personen in der Forschung in Österreich im Jahr 2021 immer noch bei nur 31,3% (vgl. Statistisches Bundesamt 2023: online). Symbolische Straßenneubenennungen machen zwar nicht jahrhundertealte patriarchale Strukturen ungeschehen, stellen aber einen Beitrag zu einer gleichberechtigteren historischen Realität dar. Im Mai 2024 wurde ein zentraler Platz der Innenstadt Bad Ischls, rechts des Kongress- und Theaterhauses Bad Ischls, feierlich im Namen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut als Theresia-Pesendorfer-Platz eröffnet. Obwohl die Widerstandskämpferin den nach ihr benannten Platz im Zentrum Bad Ischls nicht mehr besuchen kann, zeigt die Ernennung, dass die lange Zeit im Hintergrund der Vergangenheit angehört. Frauen wie sie müssen gegenwärtig die Wertschätzung, welche ihnen gebührt, erfahren.
Der Idee, Bad Ischl sichtbar ‚weiblicher‘ zu machen, geht eine aktivistische Aktion voraus. Am 23. Juni 2021 hat ein kleines Team der ‚Abteilung Denkmalpflege‘ heimlich „alle Straßenschilder“ (Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024) pink überklebt und nach Frauen benannt, um einerseits zu zeigen, wie viele historisch relevante Frauen es in der Region, aber auch weltweit gibt. Andererseits verdeutlicht diese Aktion die große Präsenz männlicher Namen auf Straßenschildern. Diese Überrepräsentation kann für feministische Arbeit genutzt werden. Bürgermeisterin Ines Schiller unterstreicht dies, indem sie ihren Weg in die Arbeit an diesem Tag wie eine Fahrt durch ein pinkes Labyrinth beschreibt (vgl. Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia Pesendorfer Platz 2024).
Basierend darauf und eingebettet in die Programmlinie Macht und Tradition der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut hat sich ein Team rund um Projektleiter Mario Friedwagner dafür eingesetzt, Frauen, Kämpferinnen und weibliche Opfer von Gewalttaten visuell anzuerkennen. Der männliche Programmleiter zeigt in seiner Zusammenarbeit mit den Historiker:innen Nina Höllinger, Marie-Theres Arnbom und Christian Kloyber, dass der Kampf um mehr Sichtbarkeit von Frauen im Alltag kein genderspezifischer ist, sondern das Sicherstellen von eben dieser Gleichberechtigung von allen forciert werden sollte (vgl. European Capital of Culture Bad Ischl Salzkammergut 2024: online).
Ein Anfang
Diese Art der Ehrung und Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist, basierend auf meiner Forschung, nicht nur ein notwendiger Schritt für Bad Ischl, sondern auch ein Auftrag an das restliche Salzkammergut und ganz Österreich. Nur weil in historischen Überlieferungen überwiegend von Männern gesprochen wird oder Männer oft in der ersten Reihe stehen, heißt das nicht, dass Frauen nicht da oder untätig waren. Vermeintliche ‚Bescheidenheit‘ dient auch heute noch als Deckmantel für Ignoranz. Theresia Pesendorfer hat gemeinsam mit ihrem Frauennetzwerk Leben gerettet. Die Aktivistin mag kein Fan der großen Öffentlichkeit gewesen sein, obwohl ich dies wegen medienwirksamer Auftritte und Filmreportagen im hohen Alter bezweifle, die Erinnerung an ihre Taten wurde schlichtweg Opfer des Patriarchats und männlicher Dominanz, die in Österreich nach wie vor gegenwärtig ist.
Am 09.05.2024 wurden neun Plätze, Straßen und Alleen in Bad Ischl mit weiblichen Namen, von Frauen mit Bad Ischl- Bezug, versehen (vgl. De Goederen 2024: 8), einer davon der Theresia-Pesendorfer-Platz. Im Zuge dieser Aktion fand keine Umbenennung, sondern eine Neubenennung statt. Die Plätze, Straßen und Alleen der Stadt waren bis dato namenlos. Neben der Widerstandskämpferin wurden durch das Projektteam und die Stadt Bad Ischl auch Karoline Gaisberger für ihren individuellen Widerstand während des Nationalsozialismus in Österreich und Rosalia Hahn, eine Frau, die aus religiösen Gründen während des Zweiten Weltkriegs verfolgt wurde, geehrt. Zudem finden sich heute auch Betty Kohn, Helene Löhner und Elisabeth Müllegger auf Straßenschildern wieder. Diese Frauen waren jüdische Opfer beziehungsweise Euthanasieopfer des Nationalsozialismus. Außerdem sind die Namen von Frieda Raimann, Frauenrechtlerin, Marie Spanitz, ebenfalls Frauenrechtsaktivistin, und Bertha von Suttner, Friedensaktivistin im öffentlichen Raum von Bad Ischl aufzufinden.
Zukünftig wäre zu überlegen, ob nicht die Vergangenheit der männlichen Namensgeber einiger Straßen im Salzkammergut beleuchtet, aufgearbeitet und umbenannt werden sollten, auch, wenn dies eine größere bürokratische Herausforderung darstellt, denn:
Sichtbarkeit erschafft Realität.
Literatur & Quellen
De Goederen, Alexander (2024): Neun Frauen aus Bad Ischl : Neun Plätze im Porträt, Bad Ischl: plag dich nicht.
Die Zeit (2019): Diese Frauen fehlen in unseren Geschichtsbüchern, [online], https://www.zeit.de/zett/politik/2019-03/diese-frauen-fehlen-in-unseren-geschichtsbuechern [02.09.2024].
European Capital of Culture Bad Ischl Salzkammergut (2024): Theresia-Pesendorfer-Platz, [online], https://www.salzkammergut-2024.at/projekte/festakt-theresia-pesendorfer-platz/ [02.09.2024].
Ischler Heimatverein (2024): Kulturpfade Bad Ischl, [online], https://www.kulturpfade-badischl.at/kuenstler-und-musiker/ [28.07.2024].
Karbus, Heinz Oliver (2021): Resi Pesendorfer … dass man nicht ganz umsonst auf der Welt ist, Bad Ischl: plag dich nicht.
Perl, Ines (2020): Frauen haben Geschichte gemacht, aber keine geschrieben, [online], https://www.ovgu.de/-p-40164.html [02.09.2024].
Stadtgemeinde Bad Ischl (2024): Bad Ischl und der 28.Juli 1914, [online], https://www.bad-ischl.ooe.gv.at/Bad_Ischl_und_der_28_Juli_1914_ [28.07.2024].
Statistisches Bundesamt (2023): Frauen in der Forschung: In Deutschland unterrepräsentiert, [online], https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Wissenschaft-Technologie-digitaleGesellschaft/FrauenanteilForschung.html#:~:text=Frauen%20sind%20im%20Bereich%20Forschung,Tschechien%20(27%2C1%20%25) [02.09.2024].
Teilnehmende Beobachtung/ Eröffnung Theresia-Pesendorfer-Platz/ 09.05.2024, 17:00-20:00 Uhr.